An die Nachwelt

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16. Oktober 1944
Adolf Reichwein
Meine liebe Romai! Zum Sonntag kam Dein Brief. Welcher Glanz kam damit zu mir. Wie oft habe ich jede Zeile gelesen, jedes Wort. Und welcher Schatz dabei die Bilder von Euch, die ich seit meinem Geburtstag bei mir habe. Ich versuche mir auch das äußere Geschehen vors innere Auge zu holen, um von fernher ein wenig daran teilzunehmen. Dann sehe ich Renate mit ihrer Geige oder die ersten englischen Vokabeln übend. Roland ernsthaft beim Lesen, Katrin mit ihrer Schiefertafel und Sabinchen mit der Puppe. Und nachmittags alle draußen im sonnigen Herbst. Und dieses ganze Leben wird von Deiner festen Hand gelenkt das erscheint mir gerade jetzt als ein großes Geschenk und ist eine wirkliche Beruhigung. Ich weiß, Du machst es gut. Wenn ich durch Dich noch allen danken könnte, die Dir bei Deinen Lasten und Sorgen helfen! [...] Dass meine Gedanken auch immer wieder um das eigene Leben kreisen, brauche ich kaum zu sagen. Aber darüber lässt sich kaum jetzt schreiben, so wohltuend es auch wäre. Das eine drängt sich beim Überfliegen der Jahrzehnte auf: wie reich und schon diese Zeiten für mich gewesen sind. Das Schwere etwa des vorigen Krieges tritt ganz dahinter zurück. Um so stärker strahlt die ländliche gesunde, ungebundene Jugend, die zehn Jahre im Wandervogel mit den weiten und nahen Fahrten, die Jugendfreundschaften, die glückliche Studienzeit in Frankfurt und Marburg mit neuen unzertrennlichen Freundschaften, dann das mit Begeisterung erfüllte Berufsleben in der Volksbildung die seltenen Lebensgeschenke meiner Reisen in Europa, Amerika, Ostasien, die vier Jahre Fliegen und Welt aus der Vogelperspektive, dazwischen die wissenschaftlichen Arbeiten, die Nächte wie Tage kosteten und schließlich das Schönste und Reichste: die zwölf Jahre mit dir und den Kindern. Wie viel Anlass dankbar zu sein. Dir vor allem Dank und Liebe! Dein Edolf
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Adolf Reichwein 16. Oktober 1944 Meine liebe Romai! Zum Sonntag kam Dein Brief. Welcher Glanz kam damit zu mir. Wie oft habe ich jede Zeile gelesen, jedes Wort. Und welcher Schatz dabei die Bilder von Euch, die ich seit meinem Geburtstag bei mir habe. Ich versuche mir auch das äußere Geschehen vors innere Auge zu holen, um von fernher ein wenig daran teilzunehmen. Dann sehe ich Renate mit ihrer Geige oder die ersten englischen Vokabeln übend. Roland ernsthaft beim Lesen, Katrin mit ihrer Schiefertafel und Sabinchen mit der Puppe. Und nachmittags alle draußen im sonnigen Herbst. Und dieses ganze Leben wird von Deiner festen Hand gelenkt das erscheint mir gerade jetzt als ein großes Geschenk und ist eine wirkliche Beruhigung. Ich weiß, Du machst es gut. Wenn ich durch Dich noch allen danken könnte, die Dir bei Deinen Lasten und Sorgen helfen! [...] Dass meine Gedanken auch immer wieder um das eigene Leben kreisen, brauche ich kaum zu sagen. Aber darüber lässt sich kaum jetzt schreiben, so wohltuend es auch wäre. Das eine drängt sich beim Überfliegen der Jahrzehnte auf: wie reich und schon diese Zeiten für mich gewesen sind. Das Schwere etwa des vorigen Krieges tritt ganz dahinter zurück. Um so stärker strahlt die ländliche gesunde, ungebundene Jugend, die zehn Jahre im Wandervogel mit den weiten und nahen Fahrten, die Jugendfreundschaften, die glückliche Studienzeit in Frankfurt und Marburg mit neuen unzertrennlichen Freundschaften, dann das mit Begeisterung erfüllte Berufsleben in der Volksbildung die seltenen Lebensgeschenke meiner Reisen in Europa, Amerika, Ostasien, die vier Jahre Fliegen und Welt aus der Vogelperspektive, dazwischen die wissenschaftlichen Arbeiten, die Nächte wie Tage kosteten und schließlich das Schönste und Reichste: die zwölf Jahre mit dir und den Kindern. Wie viel Anlass dankbar zu sein. Dir vor allem Dank und Liebe! Dein Edolf
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