An die Nachwelt

An die Nachwelt

Filter
Random
zurück
Vorwort
Random
Nachwort
02. Februar 1942
Emil Elieser Wochl
Niemand weiß, wie lange es dauern wird, und wir müssen uns immer mehr an den Gedanken gewöhnen, dass wir nicht überleben werden. Doch man muss sich über das Einzelschicksal erheben und an das Schicksal unseres Volkes denken, vielleicht sogar an das Schicksal der gesamten kultivierten Menschheit. [...] Letzte Woche habe ich ein Buch von Albert Schweitzer gelesen (Du kennst sein Buch Zwischen Wasser und Urwald [1921]), das eine starken Eindruck auf mich hinterlassen hat. Dies ist der erste Band, sehr schmal, seiner Kulturphilosophie. Er schrieb das Buch im Bewusstsein, dass die westliche Kultur insgesamt in einem schrecklichen Verfall begriffen ist, der seinen offensichtlichen Ausdruck im Weltkrieg fand. Und was würde Schweitzer heute sagen? Als Ursache dafür betrachtet er den Mangel an jeder wahrhaft moralischen Weltanschauung. Eine solche Weltanschauung kann sich seines Erachtens entwickeln, wenn die individuellen Menschen – nicht Organisationen, usw. – wieder beginnen, die Bedeutung des Lebens zu ergründen anstatt sich dem Materiellen hinzugeben. So, durch angestrengtes Nachdenken, können sie zu einem eigenen Bewusstsein gelangen und nicht zulassen, dass man ihnen vorgefertigte Programme aufzwingt. Ob er wohl in der Lage war, praktische Anleitungen zu geben? – vielleicht ist das im zweiten Band enthalten, der mir nicht zur Verfügung steht. Schließlich kann man Bücher dieser Art in diesen Tagen nicht kaufen. [...] Jetzt können wir, die Juden, beweisen, wie gering die Bedeutung der umfangreichen Bildung und wie sehr ein starker Charakter ihr überlegen ist.
teilen
Social Media
Link zum Post
https://an-die-nachwelt.de/emil-elieser-wochl-02-februar-1942-an-die-menschheit-27
kopieren
Reiner Text
Emil Elieser Wochl 02. Februar 1942 Niemand weiß, wie lange es dauern wird, und wir müssen uns immer mehr an den Gedanken gewöhnen, dass wir nicht überleben werden. Doch man muss sich über das Einzelschicksal erheben und an das Schicksal unseres Volkes denken, vielleicht sogar an das Schicksal der gesamten kultivierten Menschheit. [...] Letzte Woche habe ich ein Buch von Albert Schweitzer gelesen (Du kennst sein Buch Zwischen Wasser und Urwald [1921]), das eine starken Eindruck auf mich hinterlassen hat. Dies ist der erste Band, sehr schmal, seiner Kulturphilosophie. Er schrieb das Buch im Bewusstsein, dass die westliche Kultur insgesamt in einem schrecklichen Verfall begriffen ist, der seinen offensichtlichen Ausdruck im Weltkrieg fand. Und was würde Schweitzer heute sagen? Als Ursache dafür betrachtet er den Mangel an jeder wahrhaft moralischen Weltanschauung. Eine solche Weltanschauung kann sich seines Erachtens entwickeln, wenn die individuellen Menschen – nicht Organisationen, usw. – wieder beginnen, die Bedeutung des Lebens zu ergründen anstatt sich dem Materiellen hinzugeben. So, durch angestrengtes Nachdenken, können sie zu einem eigenen Bewusstsein gelangen und nicht zulassen, dass man ihnen vorgefertigte Programme aufzwingt. Ob er wohl in der Lage war, praktische Anleitungen zu geben? – vielleicht ist das im zweiten Band enthalten, der mir nicht zur Verfügung steht. Schließlich kann man Bücher dieser Art in diesen Tagen nicht kaufen. [...] Jetzt können wir, die Juden, beweisen, wie gering die Bedeutung der umfangreichen Bildung und wie sehr ein starker Charakter ihr überlegen ist.
kopieren
Bildatei