An die Nachwelt

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06. April 1944
Erna Gentsch
Mein lieber guter Erich! Ja, das bist Du immer für mich gewesen vom ersten Tag, da ich Dich kennen und lieben lernte, vor nun 32 Jahren. Eine lange Zeit und doch so kurz jetzt, wo wir uns vielleicht – Du siehst, ich klammere mich noch an das kleine Wörtchen – niemals wiedersehen. Also war unser Transport von Holland nach Deutschland auch unser Abschied. Du hast es wohl geahnt, als Du mir in Kleve Deine Uhr gabst, aber ich hatte neue Hoffnung, als ich Dich wiedersah. Liebster, mir blutet das Herz, dass ich Dir diesen Brief schreiben muss, doch ich hoffe, dass er für Dich ein, wenn auch nur kleiner, Trost sein wird. Wir wollen gemeinsam an unsre schönen Jugendtage in Leipzig, an schöne Pfingstfahrten in den Thüringer Wald denken. Dann unsre Stuttgarter Zeit mit all den lieben Freunden, Max, Emma und wie sie alle hießen. Dann kamen unsre Kinder, Deine Tochter, sie sind es so ganz, das zeigt sich jetzt, ohne sie wäre das Leben für mich nicht zu ertragen. Und unsre Enkel, wir kennen sie ja leider noch nicht. Doch einmal wird sich ja das Tor der Freiheit auftun, und dann werde ich sie in meine Arme nehmen und Dich in ihnen an mein Herz drücken. Weißt Du, Liebster, woran ich oft denken muss, an das Foto, das wir in Amsterdam machen lassen wollten. Der Freitag wurde unser Schicksalstag, wo es vielleicht geschehen wäre. Aber ich habe ja Dein Bild, Dein schönstes in meinem Herzen, und mit einem Foto mit mir, wird uns ein guter Fotograf doch noch ein gemeinsames Bild machen, damit unsere Kinder ein gemeinsames Bild von uns haben. Denk an Deine herrliche Wanderzeit, ich habe ja Dein Tagebuch, und wenn ich es lese, wirst Du neben mir sitzen, und Du wirst Deinem „Nieselpriem“ das, was sie nicht versteht, erklären. Liebster, wie schön waren unsre Ferientage, die wir zusammen mit unsren Kindern in Oberbayern verlebten. Weißt Du, einmal fanden wir auf unserem Weg zu Marie und Toni in einer Tannenschonung so viel Erdbeeren, dass wir sie unmöglich aufessen konnten. Da sammelten wir alle in ein großes buntes Taschentuch von Dir und kamen damit zu unseren Freunden, und zusammen mit ihnen, denn Marie hatte nicht nur Kaffee und Kuchen, sondern auch eine Schüssel mit Schlagsahne bereit, haben wir einen Götterschmaus gehalten. Und dann unsre Bergtour nach dem „Hohen Göll“. Sie wird uns unvergessen bleiben. Wie herrlich rein und weiß ist die Welt, wenn man so hoch über ihr steht, wie beneide ich jetzt die Vögel, die fliegen können, wohin sie wollen. Schön waren auch die Pariser Tage, wie habe ich genossen, wenn ich unter Deiner Führung durch ein Museum, durch ein schönes Schloss oder eine besonders schöne Gegend ging. Du wusstest alles, und ich kam mir manchmal schrecklich dumm neben Dir vor. Und das gibt ja eine Frau nicht gern zu. Nun möcht ich Dir für jedes unfreundliche Wort tausend liebe Worte sagen. Aber so ist der Mensch, erst wenn er etwas verlieren soll, weiß er, was er besessen hat. Neben diesen schönen Erinnerungen ist das Leben für Dich von frühester Jugend an nur Arbeit und Mühe gewesen. Du hattest früh die Mutter verloren und solltest nun, wo Du Kinder und Enkel hast, erst reichlich die Liebe vergolten bekommen, die Du als Kind missen musstest. Das hat Dir das grausame Schicksal nicht gegönnt. Liebster, meine Gedanken sind Tag und Nacht bei Dir. Ich wünsche mit meinem ganzen Herzen, mit jeder Faser meines Lebens, dass das Schlimmste, Dein Tod, verhindert wird. Ich weiß nicht, wie das geschehen soll, denn an Wunder glauben wir ja beide nicht. Und doch kann der Gedanke, Dich nicht mehr, niemals mehr zu sehen, keinen Platz bei mir finden, dazu haben wir uns zu lieb. Mein lieber, guter Erich, ich umarme Dich ganz ganz fest, so wie Du mich oft in Deinen Armen gehalten hast, und küsse Dich innig, Dir von ganzem Herzen dankend für die große Liebe, die Du in mein Leben gebracht und mit der Du mich unnennbar glücklich gemacht hast. Ich werde Dich lieben, solange noch ein Hauch Leben in mir ist. Deine Erna Hab Dank, tausend Dank!
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Reiner Text
Erna Gentsch 06. April 1944 Mein lieber guter Erich! Ja, das bist Du immer für mich gewesen vom ersten Tag, da ich Dich kennen und lieben lernte, vor nun 32 Jahren. Eine lange Zeit und doch so kurz jetzt, wo wir uns vielleicht – Du siehst, ich klammere mich noch an das kleine Wörtchen – niemals wiedersehen. Also war unser Transport von Holland nach Deutschland auch unser Abschied. Du hast es wohl geahnt, als Du mir in Kleve Deine Uhr gabst, aber ich hatte neue Hoffnung, als ich Dich wiedersah. Liebster, mir blutet das Herz, dass ich Dir diesen Brief schreiben muss, doch ich hoffe, dass er für Dich ein, wenn auch nur kleiner, Trost sein wird. Wir wollen gemeinsam an unsre schönen Jugendtage in Leipzig, an schöne Pfingstfahrten in den Thüringer Wald denken. Dann unsre Stuttgarter Zeit mit all den lieben Freunden, Max, Emma und wie sie alle hießen. Dann kamen unsre Kinder, Deine Tochter, sie sind es so ganz, das zeigt sich jetzt, ohne sie wäre das Leben für mich nicht zu ertragen. Und unsre Enkel, wir kennen sie ja leider noch nicht. Doch einmal wird sich ja das Tor der Freiheit auftun, und dann werde ich sie in meine Arme nehmen und Dich in ihnen an mein Herz drücken. Weißt Du, Liebster, woran ich oft denken muss, an das Foto, das wir in Amsterdam machen lassen wollten. Der Freitag wurde unser Schicksalstag, wo es vielleicht geschehen wäre. Aber ich habe ja Dein Bild, Dein schönstes in meinem Herzen, und mit einem Foto mit mir, wird uns ein guter Fotograf doch noch ein gemeinsames Bild machen, damit unsere Kinder ein gemeinsames Bild von uns haben. Denk an Deine herrliche Wanderzeit, ich habe ja Dein Tagebuch, und wenn ich es lese, wirst Du neben mir sitzen, und Du wirst Deinem „Nieselpriem“ das, was sie nicht versteht, erklären. Liebster, wie schön waren unsre Ferientage, die wir zusammen mit unsren Kindern in Oberbayern verlebten. Weißt Du, einmal fanden wir auf unserem Weg zu Marie und Toni in einer Tannenschonung so viel Erdbeeren, dass wir sie unmöglich aufessen konnten. Da sammelten wir alle in ein großes buntes Taschentuch von Dir und kamen damit zu unseren Freunden, und zusammen mit ihnen, denn Marie hatte nicht nur Kaffee und Kuchen, sondern auch eine Schüssel mit Schlagsahne bereit, haben wir einen Götterschmaus gehalten. Und dann unsre Bergtour nach dem „Hohen Göll“. Sie wird uns unvergessen bleiben. Wie herrlich rein und weiß ist die Welt, wenn man so hoch über ihr steht, wie beneide ich jetzt die Vögel, die fliegen können, wohin sie wollen. Schön waren auch die Pariser Tage, wie habe ich genossen, wenn ich unter Deiner Führung durch ein Museum, durch ein schönes Schloss oder eine besonders schöne Gegend ging. Du wusstest alles, und ich kam mir manchmal schrecklich dumm neben Dir vor. Und das gibt ja eine Frau nicht gern zu. Nun möcht ich Dir für jedes unfreundliche Wort tausend liebe Worte sagen. Aber so ist der Mensch, erst wenn er etwas verlieren soll, weiß er, was er besessen hat. Neben diesen schönen Erinnerungen ist das Leben für Dich von frühester Jugend an nur Arbeit und Mühe gewesen. Du hattest früh die Mutter verloren und solltest nun, wo Du Kinder und Enkel hast, erst reichlich die Liebe vergolten bekommen, die Du als Kind missen musstest. Das hat Dir das grausame Schicksal nicht gegönnt. Liebster, meine Gedanken sind Tag und Nacht bei Dir. Ich wünsche mit meinem ganzen Herzen, mit jeder Faser meines Lebens, dass das Schlimmste, Dein Tod, verhindert wird. Ich weiß nicht, wie das geschehen soll, denn an Wunder glauben wir ja beide nicht. Und doch kann der Gedanke, Dich nicht mehr, niemals mehr zu sehen, keinen Platz bei mir finden, dazu haben wir uns zu lieb. Mein lieber, guter Erich, ich umarme Dich ganz ganz fest, so wie Du mich oft in Deinen Armen gehalten hast, und küsse Dich innig, Dir von ganzem Herzen dankend für die große Liebe, die Du in mein Leben gebracht und mit der Du mich unnennbar glücklich gemacht hast. Ich werde Dich lieben, solange noch ein Hauch Leben in mir ist. Deine Erna Hab Dank, tausend Dank!
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