An die Nachwelt

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Nachwort
30. August 1944
Hanna Lévy-Hass
Vor dem nahen Ende erscheinen die Schande und die Sklaverei noch schwerer. Draußen, bei der Arbeit, werden die Männer bestialisch gequält. Die deutschen Bestien halten an ihrer bevorzugten Methode fest: Furchtbare Schläge und grobe, hysterische Beschimpfungen. Sie zwingen die Arbeiter in die erniedrigendsten Situationen, veranlassen sie auf den Knien zu rutschen und im Laufschritt Wagen zu ziehen. Dabei werden sie furchtbar gehetzt wie Diebe. Oder die Nazis veranstalten zur Abwechslung ein halsbrecherisches Radrennen, wobei die Unsrigen nachrennen müssen. Wenn einer dieser Unglücklichen mit seinen Kräften am Ende ist – und natürlich sind immer einige darunter – und nicht mehr den gewünschten Eifer zeigt, dann beweisen die deutschen Helden, ihre Macht und strafen den Schuldigen, durch Brotentzug oder Bunker. Und all das vollzieht sich unter der Begleitmusik von Beleidigungen und indem die Opfer unaufhörlich mit den schlimmsten Schmähungen überschüttet werden, so dass man schließlich daran zu zweifeln beginnt, ob diese Nazis überhaupt noch imstande sind – selbst in ihrem Privatleben –, ruhig zu sprechen und sich wie Menschen zu verhalten. Sie geben es nicht auf, die Juden zu demütigen und zu beschimpfen, obwohl ihnen selbst sicherlich schon dämmert, dass ihr Ende nahe ist. Jeder Umstand und jeder Augenblick ist ihnen recht, um ihre Verachtung zu zeigen. [...] Oder die Kinder, die keine Freude kennen. Angst, nichts als Angst. Diese armen, kleinen, gedemütigten Wesen, die stundenlang gerade stehen müssen, Angst im ganzen Körper und den Blick in starrer Erwartung der Dinge, die da kommen sollen. Sie verbergen den Kopf unter irgendeinem Lappen, schmiegen sich an die Großen, um gegen Kälte und Schrecken Schutz zu suchen. Nur ihre Augen bleiben weit offen, in ängstlicher Spannung, wie bei einem gehetzten Tier. Und die deutschen Offiziere blicken auf all das mit kaltblütiger Grausamkeit und Verachtung und befehlen: „Stillgestanden!”. Und wirklich, tödliches Schweigen herrscht in allen Seelen.
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Hanna Lévy-Hass 30. August 1944 Vor dem nahen Ende erscheinen die Schande und die Sklaverei noch schwerer. Draußen, bei der Arbeit, werden die Männer bestialisch gequält. Die deutschen Bestien halten an ihrer bevorzugten Methode fest: Furchtbare Schläge und grobe, hysterische Beschimpfungen. Sie zwingen die Arbeiter in die erniedrigendsten Situationen, veranlassen sie auf den Knien zu rutschen und im Laufschritt Wagen zu ziehen. Dabei werden sie furchtbar gehetzt wie Diebe. Oder die Nazis veranstalten zur Abwechslung ein halsbrecherisches Radrennen, wobei die Unsrigen nachrennen müssen. Wenn einer dieser Unglücklichen mit seinen Kräften am Ende ist – und natürlich sind immer einige darunter – und nicht mehr den gewünschten Eifer zeigt, dann beweisen die deutschen Helden, ihre Macht und strafen den Schuldigen, durch Brotentzug oder Bunker. Und all das vollzieht sich unter der Begleitmusik von Beleidigungen und indem die Opfer unaufhörlich mit den schlimmsten Schmähungen überschüttet werden, so dass man schließlich daran zu zweifeln beginnt, ob diese Nazis überhaupt noch imstande sind – selbst in ihrem Privatleben –, ruhig zu sprechen und sich wie Menschen zu verhalten. Sie geben es nicht auf, die Juden zu demütigen und zu beschimpfen, obwohl ihnen selbst sicherlich schon dämmert, dass ihr Ende nahe ist. Jeder Umstand und jeder Augenblick ist ihnen recht, um ihre Verachtung zu zeigen. [...] Oder die Kinder, die keine Freude kennen. Angst, nichts als Angst. Diese armen, kleinen, gedemütigten Wesen, die stundenlang gerade stehen müssen, Angst im ganzen Körper und den Blick in starrer Erwartung der Dinge, die da kommen sollen. Sie verbergen den Kopf unter irgendeinem Lappen, schmiegen sich an die Großen, um gegen Kälte und Schrecken Schutz zu suchen. Nur ihre Augen bleiben weit offen, in ängstlicher Spannung, wie bei einem gehetzten Tier. Und die deutschen Offiziere blicken auf all das mit kaltblütiger Grausamkeit und Verachtung und befehlen: „Stillgestanden!”. Und wirklich, tödliches Schweigen herrscht in allen Seelen.
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