An die Nachwelt

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09. Juni 1943
Joseph de Zwarte
Liebe kleine Frau, es war eine gewaltige Erleichterung für mich, als dein Name genannt wurde und ich erfuhr, dass du noch in Vught bist. Deine Unterschrift. Ich habe in diesem Augenblick tatsächlich kurz geweint. Es gab hier eine große Erschütterung. Aber ich werde dir die ganze Geschichte von hier erzählen. Am Dienstag auf der Arbeit regnete es, und wir durften uns in einem großen alten Eisenbahnschuppen unterstellen. Hier wurde bekannt gegeben, alle Frauen, deren Männer in Moerdijk arbeiteten, seien gesperrt. Ein Jubel erklang. Es regnete immer weiter, und der Unterscharführer verlangte nach ein wenig Ablenkung. Wir mussten ein Kabarett aufführen. Jeder trug etwas vor. Es war alles ganz lustig. Als wir ins Lager zurückkamen, war es wie ein harter Schlag ins Gesicht. Mehr als 3600 Frauen und Kinder. Was für ein Elend. Männer liefen herum und weinten wie Kinder. Kurz darauf bekam ich deinen Brief. Da war ich sehr froh. Das kannst du dir sicher vorstellen. Nur der Inhalt, den fand ich sehr pessimistisch. Ich hoffe sehr, dass ich nie einen Abschiedsbrief von dir empfangen muss. Das Schlimmste war, dass unsere Lagerleitung über alles Bescheid wusste. Es war nämlich etwas durchgesickert, aber sie stritten alles ab. Wenn du jemals wegmusst, musst du dafür sorgen, dass man dich in Westerbork im Krankenhaus aufnimmt. Ich finde es schrecklich, dass Ans schon weitermusste. Nun bekommen wir auch keine Pakete mehr. Kannst du nicht etwas Essen für mich in eine Flasche tun? Probier es mit einem einzigen Topf. Ich werde dich dann wissen lassen, ob es sich gut gehalten hat, und dann kannst du mir mehr schicken. Es geht mir hier gut. Wir werden besser behandelt als in Vught, aber es gibt viel zu wenig zu essen. Wenn du ganz still bist, kannst du meinen Magen bis nach Vught knurren hören. Also noch mal. Probier es einmal mit Kohlsuppe, davon bleibt doch immer etwas übrig. Deinen Brief, in dem du schriebst, dass du alle meine Briefe bekommen hast, habe ich mit Freude gelesen. Es ist sehr schwierig, sie jemandem mitzugeben, aber ich tue es, wenn es irgend geht. Und wenn du einmal keine Post bekommst, sind es beim nächsten Mal zwei Briefe. Ich habe große Hoffnung, dass du in Vught bleiben kannst. Kannst du nicht irgendwo arbeiten? Vielleicht macht das einen Unterschied. Du weißt doch, dass ich dich brauche? Quarantäne ist nicht schön, aber ausschlafen dürfen ist auch etwas wert. Findest du nicht? Nochmals danke ich dir für das Päckchen, das du mir am Sonntag geschickt hast. Wie hast du das nur geschafft? Auf Wiedersehen, Schatz. Sei tapfer, hörst du. Du weißt es. Ich komme zu dir zurück. Dein Mann.
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Joseph de Zwarte 09. Juni 1943 Liebe kleine Frau, es war eine gewaltige Erleichterung für mich, als dein Name genannt wurde und ich erfuhr, dass du noch in Vught bist. Deine Unterschrift. Ich habe in diesem Augenblick tatsächlich kurz geweint. Es gab hier eine große Erschütterung. Aber ich werde dir die ganze Geschichte von hier erzählen. Am Dienstag auf der Arbeit regnete es, und wir durften uns in einem großen alten Eisenbahnschuppen unterstellen. Hier wurde bekannt gegeben, alle Frauen, deren Männer in Moerdijk arbeiteten, seien gesperrt. Ein Jubel erklang. Es regnete immer weiter, und der Unterscharführer verlangte nach ein wenig Ablenkung. Wir mussten ein Kabarett aufführen. Jeder trug etwas vor. Es war alles ganz lustig. Als wir ins Lager zurückkamen, war es wie ein harter Schlag ins Gesicht. Mehr als 3600 Frauen und Kinder. Was für ein Elend. Männer liefen herum und weinten wie Kinder. Kurz darauf bekam ich deinen Brief. Da war ich sehr froh. Das kannst du dir sicher vorstellen. Nur der Inhalt, den fand ich sehr pessimistisch. Ich hoffe sehr, dass ich nie einen Abschiedsbrief von dir empfangen muss. Das Schlimmste war, dass unsere Lagerleitung über alles Bescheid wusste. Es war nämlich etwas durchgesickert, aber sie stritten alles ab. Wenn du jemals wegmusst, musst du dafür sorgen, dass man dich in Westerbork im Krankenhaus aufnimmt. Ich finde es schrecklich, dass Ans schon weitermusste. Nun bekommen wir auch keine Pakete mehr. Kannst du nicht etwas Essen für mich in eine Flasche tun? Probier es mit einem einzigen Topf. Ich werde dich dann wissen lassen, ob es sich gut gehalten hat, und dann kannst du mir mehr schicken. Es geht mir hier gut. Wir werden besser behandelt als in Vught, aber es gibt viel zu wenig zu essen. Wenn du ganz still bist, kannst du meinen Magen bis nach Vught knurren hören. Also noch mal. Probier es einmal mit Kohlsuppe, davon bleibt doch immer etwas übrig. Deinen Brief, in dem du schriebst, dass du alle meine Briefe bekommen hast, habe ich mit Freude gelesen. Es ist sehr schwierig, sie jemandem mitzugeben, aber ich tue es, wenn es irgend geht. Und wenn du einmal keine Post bekommst, sind es beim nächsten Mal zwei Briefe. Ich habe große Hoffnung, dass du in Vught bleiben kannst. Kannst du nicht irgendwo arbeiten? Vielleicht macht das einen Unterschied. Du weißt doch, dass ich dich brauche? Quarantäne ist nicht schön, aber ausschlafen dürfen ist auch etwas wert. Findest du nicht? Nochmals danke ich dir für das Päckchen, das du mir am Sonntag geschickt hast. Wie hast du das nur geschafft? Auf Wiedersehen, Schatz. Sei tapfer, hörst du. Du weißt es. Ich komme zu dir zurück. Dein Mann.
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