An die Nachwelt

An die Nachwelt

Filter
Random
zurück
Vorwort
Random
Nachwort
12. März 1945
Józef Gitler
Unsere Bewacher ordnen Appell aller Häftlinge mit ihren Sachen an. Wir verlassen die Waggons. Befehl: »In Reihen so lange vor den Waggons stehen, bis wir zurückkommen! Man darf nicht auseinandergehen! Wer das macht, wird nach unserer Rückkehr streng bestraft! Die uns bewachenden SS-Männer besteigen die freien Fahrräder und fahren zusammen mit den angekommenen Soldaten weg. Wir warten in den Reihen. Wir wundern uns, dass sie niemanden zum Aufpassen dagelassen haben. Schon nach einer halben Stunde verlassen die Mutigsten unter uns die Reihen. Sie gehen in die naheliegenden Dörfer, um Essen zu holen. Nach kurzer Zeit kommen sie mit Kartoffeln, Milch und anderen Sachen zurück. Die Menschen verlassen die Reihen. Es wird klar, dass die Deutschen vor der heranrückenden Front geflüchtet sind. Alek Jakubowicz bereitet in unserem Abteil eine gemeinsame Mahlzeit zu. Wir kochen die aus dem Teich neben dem Wald geangelten Fische. In dem von den Bewachern verlassenen Waggon finden wir eine Kiste mit Dokumenten der Häftlinge. Das Geld haben die geflohenen Deutschen mitgenommen. Es ist ein Uhr nachmittags – die so lange erwartete Stunde der Befreiung! Die ersten Truppen der Alliierten nähern sich uns. Die Menschen weinen, küssen die Soldaten. Die Amerikaner blicken entsetzt auf die menschlichen Skelette. Ein amerikanischer Soldat, ein Jude – sehr gerührt. Plötzlich kommt eine Gruppe von deutschen Soldaten aus dem Wald. – Hände hoch! – sie geben ihre Waffen ab. Die unsrigen zerschlagen die deutschen Gewehre an den Telegrafenmasten. Die Amerikaner sind in Eile. Sie greifen Richtung Elbe an. Magdeburg steht in Flammen. Sie lassen uns auf die nächsten Truppen warten, die sich unser annehmen werden. 17 Uhr. Die nächsten amerikanischen Truppen sind da. Wir werden im benachbarten Dorf, Farsleben, untergebracht, von wo wir nach ein paar Stunden mit Lastwagen in die ein paar Kilometer entfernte Siedlung Hillersleben gebracht werden. Dort sollen wir auf die Repatriierung warten. Die Freiheit kam nach genau 21 Monaten unseres bitteren Schicksals, des Hungers, der Krankheiten und dieses ganzen Alptraum-Lebens in Bergen-Belsen.
info
teilen
Social Media
Link zum Post
https://an-die-nachwelt.de/jozef-gitler-12-maerz-1945-abschied-22
kopieren
Reiner Text
Józef Gitler 12. März 1945 Unsere Bewacher ordnen Appell aller Häftlinge mit ihren Sachen an. Wir verlassen die Waggons. Befehl: »In Reihen so lange vor den Waggons stehen, bis wir zurückkommen! Man darf nicht auseinandergehen! Wer das macht, wird nach unserer Rückkehr streng bestraft! Die uns bewachenden SS-Männer besteigen die freien Fahrräder und fahren zusammen mit den angekommenen Soldaten weg. Wir warten in den Reihen. Wir wundern uns, dass sie niemanden zum Aufpassen dagelassen haben. Schon nach einer halben Stunde verlassen die Mutigsten unter uns die Reihen. Sie gehen in die naheliegenden Dörfer, um Essen zu holen. Nach kurzer Zeit kommen sie mit Kartoffeln, Milch und anderen Sachen zurück. Die Menschen verlassen die Reihen. Es wird klar, dass die Deutschen vor der heranrückenden Front geflüchtet sind. Alek Jakubowicz bereitet in unserem Abteil eine gemeinsame Mahlzeit zu. Wir kochen die aus dem Teich neben dem Wald geangelten Fische. In dem von den Bewachern verlassenen Waggon finden wir eine Kiste mit Dokumenten der Häftlinge. Das Geld haben die geflohenen Deutschen mitgenommen. Es ist ein Uhr nachmittags – die so lange erwartete Stunde der Befreiung! Die ersten Truppen der Alliierten nähern sich uns. Die Menschen weinen, küssen die Soldaten. Die Amerikaner blicken entsetzt auf die menschlichen Skelette. Ein amerikanischer Soldat, ein Jude – sehr gerührt. Plötzlich kommt eine Gruppe von deutschen Soldaten aus dem Wald. – Hände hoch! – sie geben ihre Waffen ab. Die unsrigen zerschlagen die deutschen Gewehre an den Telegrafenmasten. Die Amerikaner sind in Eile. Sie greifen Richtung Elbe an. Magdeburg steht in Flammen. Sie lassen uns auf die nächsten Truppen warten, die sich unser annehmen werden. 17 Uhr. Die nächsten amerikanischen Truppen sind da. Wir werden im benachbarten Dorf, Farsleben, untergebracht, von wo wir nach ein paar Stunden mit Lastwagen in die ein paar Kilometer entfernte Siedlung Hillersleben gebracht werden. Dort sollen wir auf die Repatriierung warten. Die Freiheit kam nach genau 21 Monaten unseres bitteren Schicksals, des Hungers, der Krankheiten und dieses ganzen Alptraum-Lebens in Bergen-Belsen.
kopieren
Bildatei