An die Nachwelt

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13. Mai 1943
Karl Behrens
Meine liebste, gute Kläre! Langsam vergeht der schöne Frühling, die Welt verblüht und mit ihr alles Leben. Was schön war oder doch so schön schien, vergeht, muss vergehen im ewigen Kreislauf. Als ich von Russland wieder nach Berlin kam, leuchteten die Herbstfarben, doch nach dem Winter kam der Frühling wieder. Es war schön, noch einmal die Blüten zu sehen. Das Leuchten und Schimmern da draußen und Deine Briefe und die schönen Bilder waren in all den Stunden und Tagen hier eine große Freude. Eine tiefe Sehnsucht nach Euch, Euch wenigstens noch einmal zu sehen, war da, doch leider nicht mehr erfüllbar. So habe ich von der Erinnerung an alle die vielen herrlichen Stunden mit Dir, Du Gute, und den Kindern gezehrt, und ich bin immer wieder alle die Wege gegangen, habe noch einmal die Zeiten durchlebt, die wir beide zusammen gegangen sind. Habe Dank, Liebe, für alles dieses Schöne, für alle Liebe und Güte, die Du mir geschenkt hast, vor allem habe Dank für die drei kleinen Spatzen, die nun unseren Namen weitertragen. Deine Berichte von Euch ließen mich trotz aller räumlichen Trennung Euer Leben mitleben. So hatte ich Anteil an Eurem Ergehen. Die kleinen Spatzen, der Peter, Marthalein und der kleine, süße Helmut, geben Dir, liebe Kläre, nun eine große, schwere Aufgabe, eine Pflicht, der Du Dich, das weiß ich, nicht entziehen wirst, auch wenn ich, durch das Schicksal gezwungen, Dir nun nicht mehr dabei helfen kann. Liebste, tapfere Frau, ich kann mich nicht mehr rechtfertigen vor Dir, Dir nichts mehr erklären, das Leben läuft weiter, manchmal scheinbar untragbar schwer. Und wenn es Dir auch nun untragbar scheinen mag, verzage nicht. Siehe, ich lebe in den Kindern weiter, hüte und trage sie, soweit es in Deinen Kräften steht, lebe mit ihnen und für sie, dies ist meine letzte Bitte an Dich, und alle Lieben und Freunde, soweit sie in irgendeiner Form Anteil nehmen können und wollen, werden Dir dabei helfen. Den guten Onkel Artur bitte ich besonders, sich der kleinen Spatzen anzunehmen und ihnen und Dir zu helfen, soweit er dies mag und kann. Langsam rinnen die Stunden, die letzten im Leben eines Menschen, und doch bin ich ruhig, und wenn auch niemand weiß und sagen kann, was nun kommt, so weiß ich, dass das Leben mit Dir ein Leben ausfüllen konnte und auch meinem Leben einen wunderbaren Inhalt gegeben hat, dafür möchte ich Dir immer wieder noch einmal danken. Wie sich Euer Leben weiterhin gestalten wird, ist ungewiss, wie das Schicksal der Kinder ablaufen wird, weiß noch niemand. Ich kann Dir auch nicht vorschreiben noch Dich um bestimmte Wege bitten, alles musst Du selber entscheiden, und ich weiß, fühle es, Du hast die Kraft und Stärke zu diesen Entscheidungen und wirst Euer Leben gestalten in diesen entscheidungsschweren Zeiten. Doch nach ihnen werden wieder glücklichere, friedlichere Tage kommen und es lebenswerter machen, als es heute vielleicht scheint. So wirst auch Du, liebe Kläre, und mit Dir alle Lieben, über die ersten Schmerzen hinwegkommen. Liebste, vergiss niemals, das Leben läuft weiter, und es wird für Euch auch wieder schön werden. Liebste, ich möchte Dir noch so viel sagen – wo beginnen und wo enden. Doch ich weiß, es bedarf nicht vieler Worte. Der tiefste und letzte Sinn des Lebens ist nach meiner Ansicht ein Weiterstreben, eine in die Tiefe und Breite gehende, vor allem geistige Entwicklung eines jeden einzelnen Menschen und darüber hinaus der Völker, ja der ganzen Menschheit. In diesem Sinne dachte ich an glücklicheren Tagen mir auch die Erziehung und Formung unserer Kinder. Danach vor allem versuchte ich auch zu streben in meinem bisherigen Leben. Nun bricht es ab, ob das, was ich erreicht habe, gut und richtig ist, vermag ich nicht mehr zu beurteilen, alles Leben ist ja ein Kranken und Wiedergesunden, ein Auf und Ab. So bitte ich Dich, auch die schwere Zeit, die vor Dir liegt, zu sehen, und ich hoffe sehnlichst, dass weder Du noch die Kinder unter meinem Schicksal zu leiden haben werden. Sei stark und tapfer, wie Du bisher warst, und schenke alle Liebe, die mir gilt, unseren Kindern; ihr Wachsen und Gedeihen, ihre Entwicklung wird Dir neben unendlicher Arbeit auch viele tiefe Freude bringen. Sie werden Dein Herz ausfüllen, und mit ihnen wird auch Dein Leben reich und froh werden. Du liebe, liebste Kläre, noch einmal möchte ich Dir sagen, wie glücklich und froh ich mit Dir war. Du gabst mir Jahre voll tiefsten Glückes, voll tiefster Liebe. Auch ich glaubte niemals vorher, dass ein Mensch so viel Liebe verströmen könne, und auch ich habe Dich geliebt, Dich und die Kinder, wie ich nur Liebe geben konnte. Verzeih, wenn manchmal ein raues, hartes Wort fiel, verzeihe und denke manchmal in stillen Stunden an mich. In tiefster Liebe, lebe wohl, Du Gute! Dein Karl
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Karl Behrens 13. Mai 1943 Meine liebste, gute Kläre! Langsam vergeht der schöne Frühling, die Welt verblüht und mit ihr alles Leben. Was schön war oder doch so schön schien, vergeht, muss vergehen im ewigen Kreislauf. Als ich von Russland wieder nach Berlin kam, leuchteten die Herbstfarben, doch nach dem Winter kam der Frühling wieder. Es war schön, noch einmal die Blüten zu sehen. Das Leuchten und Schimmern da draußen und Deine Briefe und die schönen Bilder waren in all den Stunden und Tagen hier eine große Freude. Eine tiefe Sehnsucht nach Euch, Euch wenigstens noch einmal zu sehen, war da, doch leider nicht mehr erfüllbar. So habe ich von der Erinnerung an alle die vielen herrlichen Stunden mit Dir, Du Gute, und den Kindern gezehrt, und ich bin immer wieder alle die Wege gegangen, habe noch einmal die Zeiten durchlebt, die wir beide zusammen gegangen sind. Habe Dank, Liebe, für alles dieses Schöne, für alle Liebe und Güte, die Du mir geschenkt hast, vor allem habe Dank für die drei kleinen Spatzen, die nun unseren Namen weitertragen. Deine Berichte von Euch ließen mich trotz aller räumlichen Trennung Euer Leben mitleben. So hatte ich Anteil an Eurem Ergehen. Die kleinen Spatzen, der Peter, Marthalein und der kleine, süße Helmut, geben Dir, liebe Kläre, nun eine große, schwere Aufgabe, eine Pflicht, der Du Dich, das weiß ich, nicht entziehen wirst, auch wenn ich, durch das Schicksal gezwungen, Dir nun nicht mehr dabei helfen kann. Liebste, tapfere Frau, ich kann mich nicht mehr rechtfertigen vor Dir, Dir nichts mehr erklären, das Leben läuft weiter, manchmal scheinbar untragbar schwer. Und wenn es Dir auch nun untragbar scheinen mag, verzage nicht. Siehe, ich lebe in den Kindern weiter, hüte und trage sie, soweit es in Deinen Kräften steht, lebe mit ihnen und für sie, dies ist meine letzte Bitte an Dich, und alle Lieben und Freunde, soweit sie in irgendeiner Form Anteil nehmen können und wollen, werden Dir dabei helfen. Den guten Onkel Artur bitte ich besonders, sich der kleinen Spatzen anzunehmen und ihnen und Dir zu helfen, soweit er dies mag und kann. Langsam rinnen die Stunden, die letzten im Leben eines Menschen, und doch bin ich ruhig, und wenn auch niemand weiß und sagen kann, was nun kommt, so weiß ich, dass das Leben mit Dir ein Leben ausfüllen konnte und auch meinem Leben einen wunderbaren Inhalt gegeben hat, dafür möchte ich Dir immer wieder noch einmal danken. Wie sich Euer Leben weiterhin gestalten wird, ist ungewiss, wie das Schicksal der Kinder ablaufen wird, weiß noch niemand. Ich kann Dir auch nicht vorschreiben noch Dich um bestimmte Wege bitten, alles musst Du selber entscheiden, und ich weiß, fühle es, Du hast die Kraft und Stärke zu diesen Entscheidungen und wirst Euer Leben gestalten in diesen entscheidungsschweren Zeiten. Doch nach ihnen werden wieder glücklichere, friedlichere Tage kommen und es lebenswerter machen, als es heute vielleicht scheint. So wirst auch Du, liebe Kläre, und mit Dir alle Lieben, über die ersten Schmerzen hinwegkommen. Liebste, vergiss niemals, das Leben läuft weiter, und es wird für Euch auch wieder schön werden. Liebste, ich möchte Dir noch so viel sagen – wo beginnen und wo enden. Doch ich weiß, es bedarf nicht vieler Worte. Der tiefste und letzte Sinn des Lebens ist nach meiner Ansicht ein Weiterstreben, eine in die Tiefe und Breite gehende, vor allem geistige Entwicklung eines jeden einzelnen Menschen und darüber hinaus der Völker, ja der ganzen Menschheit. In diesem Sinne dachte ich an glücklicheren Tagen mir auch die Erziehung und Formung unserer Kinder. Danach vor allem versuchte ich auch zu streben in meinem bisherigen Leben. Nun bricht es ab, ob das, was ich erreicht habe, gut und richtig ist, vermag ich nicht mehr zu beurteilen, alles Leben ist ja ein Kranken und Wiedergesunden, ein Auf und Ab. So bitte ich Dich, auch die schwere Zeit, die vor Dir liegt, zu sehen, und ich hoffe sehnlichst, dass weder Du noch die Kinder unter meinem Schicksal zu leiden haben werden. Sei stark und tapfer, wie Du bisher warst, und schenke alle Liebe, die mir gilt, unseren Kindern; ihr Wachsen und Gedeihen, ihre Entwicklung wird Dir neben unendlicher Arbeit auch viele tiefe Freude bringen. Sie werden Dein Herz ausfüllen, und mit ihnen wird auch Dein Leben reich und froh werden. Du liebe, liebste Kläre, noch einmal möchte ich Dir sagen, wie glücklich und froh ich mit Dir war. Du gabst mir Jahre voll tiefsten Glückes, voll tiefster Liebe. Auch ich glaubte niemals vorher, dass ein Mensch so viel Liebe verströmen könne, und auch ich habe Dich geliebt, Dich und die Kinder, wie ich nur Liebe geben konnte. Verzeih, wenn manchmal ein raues, hartes Wort fiel, verzeihe und denke manchmal in stillen Stunden an mich. In tiefster Liebe, lebe wohl, Du Gute! Dein Karl
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