An die Nachwelt

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07. Juni 1943
Klaartje de Zwarte-Walvisch
Mein allerliebster Mann, im Augenblick sieht es so aus, dass wir alle darauf warten, einen Aufruf nach Polen oder irgendwo anders hin ganz weit weg zu bekommen. Die meisten sind schon weg, und wenn du diesen Brief bekommst, bin ich auch schon unterwegs. Du darfst dich über all das nicht wundern. Was hier in den letzten paar Tagen vor sich gegangen ist, lässt sich nicht mit dem Stift festhalten. Es soll genügen, wenn ich dir sage, dass es barbarisch war. Liebster, dieser Brief ist tatsächlich ein Abschiedsbrief. Wenn du siehst, wie es uns im Moment ergeht. Weil wir uns in Quarantäne befinden, brauchten wir nicht zum Appell, aber alle Männer und Frauen haben von Viertel vor vier bis acht Uhr Appell gestanden. Genau wie ihr an dem Abend, als ihr für Moerdijk ausgewählt wurdet, wurden sie aus den Reihen geholt. Du weißt nur zu gut, was ich meine. Die meisten Frauen mit Kindern sind schon weg. Am Sonntagnachmittag ist der erste Transport abgefahren. Heute (Montag) hat man die Mütter mit Kindern, deren Männer in Moerdijk sind, weggeschickt. Es war einfach entsetzlich. Wir werden einander nicht mehr wiedersehen, solange noch Krieg ist. Liebster, auch wenn das hier ein Abschied wird, wird es kein Abschied für ewig sein. Jetzt schreibe ich: Ich komme zu dir zurück. Wie lange das dauern wird, weiß natürlich niemand. Aber dass wir uns wiedersehen, ist sicher. Das alles habe ich vorausgeahnt, als ich dir damals diesen sehr langen Brief schrieb, in dem ich dir alles offenbart habe, was in meinem Herzen ist. Damals hatte ich immer das hier vor Augen. Ich wusste, dass wir einmal Abschied voneinander nehmen müssen. Darum bin ich wahrscheinlich auch so sentimental gewesen und habe dir gesagt, was in mir vor sich ging. Aber ich bin vor allem deswegen froh, weil ich dich an dem Morgen, bevor du nach Moerdijk aufbrechen musstest, noch einmal sprechen konnte. Das hat viel von dem Leid, das hier ausgestanden wird, wiedergutgemacht. Das kann ich dir auf jeden Fall mit Sicherheit sagen. Sei also, was das betrifft, vollkommen beruhigt. Aber wenn ich weg bin und du diesen Brief bekommst, hoffe ich, dass du dich tapfer halten wirst, genau wie ich. Denk daran, dass das Leben es immer noch wert ist, gelebt zu werden. Halte dir das vor Augen und denk an mich. Denk an deine kleine Frau, die es so gern anders gewollt hätte, aber leider keine Macht darüber hat, was passiert. Während die Transporte aufbrachen, habe ich keine einzige Träne vergossen. Alles ließ mich kalt. Ich bin allem gegenüber, was um mich herum geschieht, ganz gefühllos. Ich glaube, ich bin völlig abgestumpft, aber es ist auch sehr gut möglich, dass ich so bin, damit ich all meine Energie und Willenskraft bis zu dem Augenblick schonen kann, in dem ich selbst aufbrechen muss. Ans und Netty sitzen neben mir. Auch sie schreiben an ihre Männer. Wir sind alle sehr tapfer und warten ganz gefasst unser Schicksal ab. Es ist hier im Moment wie in Westerbork. Die Aufrufe gehen noch bis heute Abend um elf weiter. Du würdest mich nicht wiedererkennen. So ruhig und gefasst bin ich. Vielleicht ist es der Gedanke an dich, der mich stark macht. Ich bin froh, dass ich nun so bin. Es gibt mir Mut und Willenskraft. Liebster, wohin ich auch gehe, wo ich auch bin, meine Gedanken sind und bleiben bei dir. Bei meinem Mann, mit dem ich immer Liebe und Leid geteilt habe. Du darfst aber kein Mitleid mit mir haben. Das könnte ich nicht ertragen. Du weißt, wie wir damals unser Haus verlassen haben, ins Unbekannte. So werde ich auch Vught verlassen. Erhobenen Hauptes. Im Moment sind sie dabei, ein paar Mädchen aufzurufen. Es ist gut möglich, dass sie danach mit den verheirateten Frauen anfangen. Liebster, tu nichts Unüberlegtes. Denke weiter sachlich und logisch, wie du das immer getan hast. Ich werde dich in Gedanken stützen, und dann weiß ich, dass du dich auch tapfer halten wirst. Unser Schicksal ist besiegelt, denn die Aufrufe strömen nur so herein. Womöglich müssen wir noch heute Abend auf Transport, sonst morgen. Wohin, das weiß niemand. Illusionen, ich würde hierbleiben können, habe ich keine. Man wird das ganze Lager leer machen. Das Kinderlager ist bis auf wenige Ausnahmen schon leer. Denk daran. Halt dich tapfer. So tapfer wie ich. Du weißt nun einmal, dass du dem Schicksal nicht entgehen kannst. Das weißt du noch sehr gut von diesem einen Nachmittag, als ich allein zu Hause war und du unerwartet zurückkamst. Falls ich nach Westerbork kommen sollte, kann ich nur noch versuchen, ins Krankenhaus zu kommen und auf diese Weise einen Aufschub zu erreichen. Du weißt schon, wofür. Du wirst wahrscheinlich nicht freiwillig kommen dürfen, und ich erwarte das auch nicht von dir. Folge mir vor allem nicht freiwillig, denn selbst wenn wir einander in Westerbork wiedersehen sollten, was natürlich sehr schön wäre, würden wir doch nicht zusammenbleiben. Und vielleicht kommst du ja auch früher frei als ich. Solange du noch in Holland bist, hast du darauf bestimmt bessere Chancen. Also, mein lieber Mann, gebrauche deinen Verstand gut. Du bist nicht der Einzige, der leidet. Wir leiden alle. Die Frage ist nur, auf welche Weise man das Leid am besten ertragen kann. Meine Schwester Ans ist in Westerbork, also hat man sie inzwischen wahrscheinlich auch weitergeschickt. Es ist hier im Moment so, dass man völlig wahnsinnig werden könnte. Die eine schreit lauter als die andere, und wir werden immer weniger. Die Mütter mit Kindern stehen alle noch am Tor. Der Transport fährt heute Abend um elf Uhr ab. Du weißt jetzt, wie ich dazu stehe, aber du kennst mich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass ich das wirklich wie eine tapfere Frau ertragen werde. Jetzt schreibe ich, was du mir immer schreibst. Ich werde zu dir zurückkommen. Das hier wird ein Auf Wiedersehen. Natürlich weiß ich nicht, wann das sein wird, aber dass es dazu kommt, das ist sicher. Denke nur immer daran. Nochmals sage ich dir, wo immer ich auch hingehe, ich werde immer und immer an die Jahre denken, in denen wir so glücklich waren. Daran können wir uns dann immer erinnern, und wenn es Dinge gegeben haben mag, die wir beide gern anders gehabt hätten, so werden diese im Vergleich zu dem großen Leid, das wir nun alle durchmachen müssen, doch völlig unwichtig. Ich richte auch meine ganze Hoffnung auf dich, weil ich weiß, dass du in Gedanken bei mir bist. Mehr verlange ich im Moment auch nicht. Die Briefe, die du mir geschickt hast, nehme ich überallhin mit, und immer, wenn ich das Bedürfnis danach habe, werde ich sie wieder lesen. Daraus werde ich Kraft schöpfen, die ich in der Zukunft bestimmt nötig haben werde, und dann hoffe ich, dass für uns, wenn wir beide diese Hölle überleben, ein neues Leben anbrechen wird. Etwas, das wir beide so schrecklich gern möchten, denn ich weiß, dass das auch dein Wunsch ist. Wenn sich herausstellen sollte, dass ich diesen Brief nicht zu verschicken brauche, hebe ich ihn trotzdem auf, damit du weißt, wie ich an jenem Abend war, als alle in Angst und Anspannung dasaßen und ich ganz ruhig und gefasst mein Schicksal abgewartet habe. Inzwischen ist es schon halb zehn, und ich bin immer noch nicht an der Reihe. Verheiratete Frauen ohne Kinder hat man noch immer nicht aufgerufen. Also warte ich weiter ab. Das Gepäck aus dem Magazin wird uns nicht mitgegeben. Viel habe ich also sowieso nicht mehr. Nun, das ist nicht von großer Bedeutung. Ich habe nur ein einziges Ziel vor Augen. Und das ist: Ich komme zu dir zurück. Zu meinem Mann. Daran musst du denken. Ich weiß nicht, wann du diesen Brief erhalten wirst. Es ist sehr gut möglich, dass er dich nie erreicht. Auch dann komme ich zu dir zurück. Du weißt, was wir vereinbart haben. Entweder bei R. oder bei V. Das haben wir abgesprochen. Sollte beides nicht möglich sein, werden wir es dem Zufall überlassen. Liebster Mann. Ich habe dir alles geschrieben, was ich dir unbedingt sagen wollte. In diesem Moment kommt wieder ein Stapel Aufrufe herein. Ich habe entsetzliche Kopfschmerzen, und schon deshalb würde ich mir wünschen, dass ich heute Abend nicht los muss. Es ist hier nun genauso wie abends in Amsterdam. Warten, bis man an der Reihe ist. Siehst du nun ein, dass wir, solange dieser Zustand anhält, niemals Ruhe finden werden? Es heißt, dass diejenigen, die für Philips registriert sind, die Chance auf einen zeitlich begrenzten Aufschub haben. Aber wie wichtig ist mir das? Andererseits zählt jeder Tag. Ihr dort in Moerdijk habt keine Ahnung, was sich hier in den letzten Tagen abgespielt hat. Ich hoffe, Liebling, dass du das irgendwann einmal aus meinen Aufzeichnungen erfahren wirst, denn du weißt, dass ich das nicht einfach so geschehen lasse. Gepackt habe ich noch nichts, wie du weißt, beeile ich mich damit nie. So auch jetzt nicht. Der Zug wird schon nicht ohne mich abfahren. Bisher habe ich noch keinen Aufruf erhalten, aber das kann morgen auch noch passieren. Jedenfalls nehme ich jetzt Abschied von dir. Bleib tapfer wie ich. Das ist das Einzige, was ich dir um unser beider Willen dringend rate. Ich fordere es sogar von dir um unser beider Willen. Liebling, es ist sehr schwer, Abschied von dir zu nehmen, aber es muss sein. Es lässt sich nicht ändern. Auf Wiedersehen, Mann. Kopf hoch, hörst du. Alles wird gut werden. Deine Frau, die dich so sehr liebt, wird dich verlassen. Aber nur für eine bestimmte Zeit, das weißt du. Das hier ist kein Abschied für ewig. Folge mir niemals freiwillig. Deine Frau
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Klaartje de Zwarte-Walvisch 07. Juni 1943 Mein allerliebster Mann, im Augenblick sieht es so aus, dass wir alle darauf warten, einen Aufruf nach Polen oder irgendwo anders hin ganz weit weg zu bekommen. Die meisten sind schon weg, und wenn du diesen Brief bekommst, bin ich auch schon unterwegs. Du darfst dich über all das nicht wundern. Was hier in den letzten paar Tagen vor sich gegangen ist, lässt sich nicht mit dem Stift festhalten. Es soll genügen, wenn ich dir sage, dass es barbarisch war. Liebster, dieser Brief ist tatsächlich ein Abschiedsbrief. Wenn du siehst, wie es uns im Moment ergeht. Weil wir uns in Quarantäne befinden, brauchten wir nicht zum Appell, aber alle Männer und Frauen haben von Viertel vor vier bis acht Uhr Appell gestanden. Genau wie ihr an dem Abend, als ihr für Moerdijk ausgewählt wurdet, wurden sie aus den Reihen geholt. Du weißt nur zu gut, was ich meine. Die meisten Frauen mit Kindern sind schon weg. Am Sonntagnachmittag ist der erste Transport abgefahren. Heute (Montag) hat man die Mütter mit Kindern, deren Männer in Moerdijk sind, weggeschickt. Es war einfach entsetzlich. Wir werden einander nicht mehr wiedersehen, solange noch Krieg ist. Liebster, auch wenn das hier ein Abschied wird, wird es kein Abschied für ewig sein. Jetzt schreibe ich: Ich komme zu dir zurück. Wie lange das dauern wird, weiß natürlich niemand. Aber dass wir uns wiedersehen, ist sicher. Das alles habe ich vorausgeahnt, als ich dir damals diesen sehr langen Brief schrieb, in dem ich dir alles offenbart habe, was in meinem Herzen ist. Damals hatte ich immer das hier vor Augen. Ich wusste, dass wir einmal Abschied voneinander nehmen müssen. Darum bin ich wahrscheinlich auch so sentimental gewesen und habe dir gesagt, was in mir vor sich ging. Aber ich bin vor allem deswegen froh, weil ich dich an dem Morgen, bevor du nach Moerdijk aufbrechen musstest, noch einmal sprechen konnte. Das hat viel von dem Leid, das hier ausgestanden wird, wiedergutgemacht. Das kann ich dir auf jeden Fall mit Sicherheit sagen. Sei also, was das betrifft, vollkommen beruhigt. Aber wenn ich weg bin und du diesen Brief bekommst, hoffe ich, dass du dich tapfer halten wirst, genau wie ich. Denk daran, dass das Leben es immer noch wert ist, gelebt zu werden. Halte dir das vor Augen und denk an mich. Denk an deine kleine Frau, die es so gern anders gewollt hätte, aber leider keine Macht darüber hat, was passiert. Während die Transporte aufbrachen, habe ich keine einzige Träne vergossen. Alles ließ mich kalt. Ich bin allem gegenüber, was um mich herum geschieht, ganz gefühllos. Ich glaube, ich bin völlig abgestumpft, aber es ist auch sehr gut möglich, dass ich so bin, damit ich all meine Energie und Willenskraft bis zu dem Augenblick schonen kann, in dem ich selbst aufbrechen muss. Ans und Netty sitzen neben mir. Auch sie schreiben an ihre Männer. Wir sind alle sehr tapfer und warten ganz gefasst unser Schicksal ab. Es ist hier im Moment wie in Westerbork. Die Aufrufe gehen noch bis heute Abend um elf weiter. Du würdest mich nicht wiedererkennen. So ruhig und gefasst bin ich. Vielleicht ist es der Gedanke an dich, der mich stark macht. Ich bin froh, dass ich nun so bin. Es gibt mir Mut und Willenskraft. Liebster, wohin ich auch gehe, wo ich auch bin, meine Gedanken sind und bleiben bei dir. Bei meinem Mann, mit dem ich immer Liebe und Leid geteilt habe. Du darfst aber kein Mitleid mit mir haben. Das könnte ich nicht ertragen. Du weißt, wie wir damals unser Haus verlassen haben, ins Unbekannte. So werde ich auch Vught verlassen. Erhobenen Hauptes. Im Moment sind sie dabei, ein paar Mädchen aufzurufen. Es ist gut möglich, dass sie danach mit den verheirateten Frauen anfangen. Liebster, tu nichts Unüberlegtes. Denke weiter sachlich und logisch, wie du das immer getan hast. Ich werde dich in Gedanken stützen, und dann weiß ich, dass du dich auch tapfer halten wirst. Unser Schicksal ist besiegelt, denn die Aufrufe strömen nur so herein. Womöglich müssen wir noch heute Abend auf Transport, sonst morgen. Wohin, das weiß niemand. Illusionen, ich würde hierbleiben können, habe ich keine. Man wird das ganze Lager leer machen. Das Kinderlager ist bis auf wenige Ausnahmen schon leer. Denk daran. Halt dich tapfer. So tapfer wie ich. Du weißt nun einmal, dass du dem Schicksal nicht entgehen kannst. Das weißt du noch sehr gut von diesem einen Nachmittag, als ich allein zu Hause war und du unerwartet zurückkamst. Falls ich nach Westerbork kommen sollte, kann ich nur noch versuchen, ins Krankenhaus zu kommen und auf diese Weise einen Aufschub zu erreichen. Du weißt schon, wofür. Du wirst wahrscheinlich nicht freiwillig kommen dürfen, und ich erwarte das auch nicht von dir. Folge mir vor allem nicht freiwillig, denn selbst wenn wir einander in Westerbork wiedersehen sollten, was natürlich sehr schön wäre, würden wir doch nicht zusammenbleiben. Und vielleicht kommst du ja auch früher frei als ich. Solange du noch in Holland bist, hast du darauf bestimmt bessere Chancen. Also, mein lieber Mann, gebrauche deinen Verstand gut. Du bist nicht der Einzige, der leidet. Wir leiden alle. Die Frage ist nur, auf welche Weise man das Leid am besten ertragen kann. Meine Schwester Ans ist in Westerbork, also hat man sie inzwischen wahrscheinlich auch weitergeschickt. Es ist hier im Moment so, dass man völlig wahnsinnig werden könnte. Die eine schreit lauter als die andere, und wir werden immer weniger. Die Mütter mit Kindern stehen alle noch am Tor. Der Transport fährt heute Abend um elf Uhr ab. Du weißt jetzt, wie ich dazu stehe, aber du kennst mich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass ich das wirklich wie eine tapfere Frau ertragen werde. Jetzt schreibe ich, was du mir immer schreibst. Ich werde zu dir zurückkommen. Das hier wird ein Auf Wiedersehen. Natürlich weiß ich nicht, wann das sein wird, aber dass es dazu kommt, das ist sicher. Denke nur immer daran. Nochmals sage ich dir, wo immer ich auch hingehe, ich werde immer und immer an die Jahre denken, in denen wir so glücklich waren. Daran können wir uns dann immer erinnern, und wenn es Dinge gegeben haben mag, die wir beide gern anders gehabt hätten, so werden diese im Vergleich zu dem großen Leid, das wir nun alle durchmachen müssen, doch völlig unwichtig. Ich richte auch meine ganze Hoffnung auf dich, weil ich weiß, dass du in Gedanken bei mir bist. Mehr verlange ich im Moment auch nicht. Die Briefe, die du mir geschickt hast, nehme ich überallhin mit, und immer, wenn ich das Bedürfnis danach habe, werde ich sie wieder lesen. Daraus werde ich Kraft schöpfen, die ich in der Zukunft bestimmt nötig haben werde, und dann hoffe ich, dass für uns, wenn wir beide diese Hölle überleben, ein neues Leben anbrechen wird. Etwas, das wir beide so schrecklich gern möchten, denn ich weiß, dass das auch dein Wunsch ist. Wenn sich herausstellen sollte, dass ich diesen Brief nicht zu verschicken brauche, hebe ich ihn trotzdem auf, damit du weißt, wie ich an jenem Abend war, als alle in Angst und Anspannung dasaßen und ich ganz ruhig und gefasst mein Schicksal abgewartet habe. Inzwischen ist es schon halb zehn, und ich bin immer noch nicht an der Reihe. Verheiratete Frauen ohne Kinder hat man noch immer nicht aufgerufen. Also warte ich weiter ab. Das Gepäck aus dem Magazin wird uns nicht mitgegeben. Viel habe ich also sowieso nicht mehr. Nun, das ist nicht von großer Bedeutung. Ich habe nur ein einziges Ziel vor Augen. Und das ist: Ich komme zu dir zurück. Zu meinem Mann. Daran musst du denken. Ich weiß nicht, wann du diesen Brief erhalten wirst. Es ist sehr gut möglich, dass er dich nie erreicht. Auch dann komme ich zu dir zurück. Du weißt, was wir vereinbart haben. Entweder bei R. oder bei V. Das haben wir abgesprochen. Sollte beides nicht möglich sein, werden wir es dem Zufall überlassen. Liebster Mann. Ich habe dir alles geschrieben, was ich dir unbedingt sagen wollte. In diesem Moment kommt wieder ein Stapel Aufrufe herein. Ich habe entsetzliche Kopfschmerzen, und schon deshalb würde ich mir wünschen, dass ich heute Abend nicht los muss. Es ist hier nun genauso wie abends in Amsterdam. Warten, bis man an der Reihe ist. Siehst du nun ein, dass wir, solange dieser Zustand anhält, niemals Ruhe finden werden? Es heißt, dass diejenigen, die für Philips registriert sind, die Chance auf einen zeitlich begrenzten Aufschub haben. Aber wie wichtig ist mir das? Andererseits zählt jeder Tag. Ihr dort in Moerdijk habt keine Ahnung, was sich hier in den letzten Tagen abgespielt hat. Ich hoffe, Liebling, dass du das irgendwann einmal aus meinen Aufzeichnungen erfahren wirst, denn du weißt, dass ich das nicht einfach so geschehen lasse. Gepackt habe ich noch nichts, wie du weißt, beeile ich mich damit nie. So auch jetzt nicht. Der Zug wird schon nicht ohne mich abfahren. Bisher habe ich noch keinen Aufruf erhalten, aber das kann morgen auch noch passieren. Jedenfalls nehme ich jetzt Abschied von dir. Bleib tapfer wie ich. Das ist das Einzige, was ich dir um unser beider Willen dringend rate. Ich fordere es sogar von dir um unser beider Willen. Liebling, es ist sehr schwer, Abschied von dir zu nehmen, aber es muss sein. Es lässt sich nicht ändern. Auf Wiedersehen, Mann. Kopf hoch, hörst du. Alles wird gut werden. Deine Frau, die dich so sehr liebt, wird dich verlassen. Aber nur für eine bestimmte Zeit, das weißt du. Das hier ist kein Abschied für ewig. Folge mir niemals freiwillig. Deine Frau
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