An die Nachwelt

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[undatiert]
Petter Moen
7. Tag meiner Gefängnishaft in der Möllerstraße 19: Bin zweimal verhört worden. Wurde gepeitscht... Habe entsetzliche Angst vor Schmerzen. Aber keine Angst vor dem Tode. 8. Tag, abends: Von neuem Angstzustände. Weinte. Ich habe versucht zu beten. Problem: Angst und Verantwortung. 9. Tag: Fortwährend Angst. Ich muss sie überwinden. Die Schmerzen der Selbstprüfung sind groß. Alles ist unzugänglich: Wille, Verstand und Moral... Mutter in deinem Himmel, bete für mich. Mutter war gut. 10. Tag: Die Einsamkeit lastet schwer. Quousque tandem, Domine? O! Monate? Ein Jahr? O Gott!!! 11. Tag: Ich werde heute 43 Jahre alt. Ich habe mein Leben missbraucht und verdiene die Strafe, die mich jetzt von der Hand der Ungerechten trifft. Mit meinen Gedanken streife ich heute an der Peripherie der Frage nach dem Glück umher. Ich bin nie in meinem Leben glücklich gewesen, – nicht einen einzigen Tag. Aber unglücklich bin ich häufig gewesen, bis an die Grenze zum Selbstmord. Von im Glauben, im Opfer, im Gebet? Ich kann jetzt niederknien und beten. Nicht dass ich glaube, aber ich bete um Glauben. Seltsam, seltsam – dass ich das bin. Wohin soll das führen? 11. Tag, abends: Die Zukunft sieht dunkel aus für uns politische Gefangene. Außer dem individuell verhängten Todesurteil oder dem Tod ohne vorheriges Urteil befürchte ich Massenhinrichtungen. Eine höhere Macht mag uns beistehen. Auf den Knien habe ich zu Vaters und Mutters Gott gebetet. Ich betete für mein eigenes und meiner Kameraden Leben. Ich muss viel weinen. Ich bin nicht tapfer. Ich bin kein Held. Ich kann nichts daran ändern. Ich bin nur abgrundtief unglücklich. 32. Tag: Wieder und immer wieder muss ich mich selbst fragen: kannst du glauben? Ich spreche vom Glauben an die Lehre der Kirche oder davon, den Glauben zu teilen, von dem Vater und Mutter sprachen: Christus ist Gottes Sohn und ist für uns gestorben. Wer an ihn glaubt, wird das ewige Leben erben. Ich weiß, draußen in der Freiheit würde ich antworten: nein, das kann ich nicht. Meine Erfahrung verbietet es mir. Jetzt sage ich nicht rundweg, nein. Bei mir ist nämlich die Erfahrung hinzukommen, dass ich in der äußersten Not rufe: Herr, mein Gott, hilf mir Jesus, erlöse mich! 108. Tag: Der Übergang vom Beten zum Fluchen war leicht und schmerzlos. Aber die Reflexionen jetzt einen Monat später, sind sehr schmerzhaft. Es ist der sehr komplizierte Schmerz, den Salomo mit den Worten umschreibt: “Derjenige, der seine Weisheit vermehrt, vermehrt seinen Schmerz.”
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Reiner Text
Petter Moen [undatiert] 7. Tag meiner Gefängnishaft in der Möllerstraße 19: Bin zweimal verhört worden. Wurde gepeitscht... Habe entsetzliche Angst vor Schmerzen. Aber keine Angst vor dem Tode. 8. Tag, abends: Von neuem Angstzustände. Weinte. Ich habe versucht zu beten. Problem: Angst und Verantwortung. 9. Tag: Fortwährend Angst. Ich muss sie überwinden. Die Schmerzen der Selbstprüfung sind groß. Alles ist unzugänglich: Wille, Verstand und Moral... Mutter in deinem Himmel, bete für mich. Mutter war gut. 10. Tag: Die Einsamkeit lastet schwer. Quousque tandem, Domine? O! Monate? Ein Jahr? O Gott!!! 11. Tag: Ich werde heute 43 Jahre alt. Ich habe mein Leben missbraucht und verdiene die Strafe, die mich jetzt von der Hand der Ungerechten trifft. Mit meinen Gedanken streife ich heute an der Peripherie der Frage nach dem Glück umher. Ich bin nie in meinem Leben glücklich gewesen, – nicht einen einzigen Tag. Aber unglücklich bin ich häufig gewesen, bis an die Grenze zum Selbstmord. Von im Glauben, im Opfer, im Gebet? Ich kann jetzt niederknien und beten. Nicht dass ich glaube, aber ich bete um Glauben. Seltsam, seltsam – dass ich das bin. Wohin soll das führen? 11. Tag, abends: Die Zukunft sieht dunkel aus für uns politische Gefangene. Außer dem individuell verhängten Todesurteil oder dem Tod ohne vorheriges Urteil befürchte ich Massenhinrichtungen. Eine höhere Macht mag uns beistehen. Auf den Knien habe ich zu Vaters und Mutters Gott gebetet. Ich betete für mein eigenes und meiner Kameraden Leben. Ich muss viel weinen. Ich bin nicht tapfer. Ich bin kein Held. Ich kann nichts daran ändern. Ich bin nur abgrundtief unglücklich. 32. Tag: Wieder und immer wieder muss ich mich selbst fragen: kannst du glauben? Ich spreche vom Glauben an die Lehre der Kirche oder davon, den Glauben zu teilen, von dem Vater und Mutter sprachen: Christus ist Gottes Sohn und ist für uns gestorben. Wer an ihn glaubt, wird das ewige Leben erben. Ich weiß, draußen in der Freiheit würde ich antworten: nein, das kann ich nicht. Meine Erfahrung verbietet es mir. Jetzt sage ich nicht rundweg, nein. Bei mir ist nämlich die Erfahrung hinzukommen, dass ich in der äußersten Not rufe: Herr, mein Gott, hilf mir Jesus, erlöse mich! 108. Tag: Der Übergang vom Beten zum Fluchen war leicht und schmerzlos. Aber die Reflexionen jetzt einen Monat später, sind sehr schmerzhaft. Es ist der sehr komplizierte Schmerz, den Salomo mit den Worten umschreibt: “Derjenige, der seine Weisheit vermehrt, vermehrt seinen Schmerz.”
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