An die Nachwelt

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September 1944
Salmen Gradowski
Ich habe das geschrieben, als ich im Sonderkommando war. Ich kam aus dem Kielbasiner Lager. Bei Grodno. Ich wollte es, wie noch viele andere Schriften von mir, zur Erinnerung für die künftige Friedenswelt hinterlassen, die wissen soll, was hier geschehen ist. Ich habe es begraben in einer Aschengrube als sicherstem Platz, an dem man sicher graben wird, um Spuren von den Millionen Umgekommenen zu suchen. Aber letztens haben sie angefangen, die Spuren zu verwischen – und wo nur Asche angesammelt war, haben sie angeordnet, alles fein zu zerstoßen und es zur Weichsel zu bringen und der Strömung zu überlassen. Viele Gruben haben wir ausgegraben. Und jetzt befinden sich zwei solche Gruben auf dem Gelände des Krematoriums 1-2. Einige Gruben sind noch voller Asche. Da haben sie etwas vergessen oder es selbst vor ihren Vorgesetzten verleugnet, denn der Befehl lautete, so schnell wie möglich alle Spuren zu verwischen. Und als sie es nicht beizeiten ausgeführt hatten, haben sie es verleugnet. Vielleicht aus diesem Grunde sind noch zwei große Aschengruben am Krematorium 1-2 da. Und viel Asche von Hunderttausenden Juden, Russen und Polen ist auf dem Gelände der Krematorien verschüttet und untergearbeitet worden. In den Krematorien 3-4 gibt es ebenfalls ein wenig Asche. Dort hat man die Asche immer gleich zerstoßen und zur Weichsel gebracht, weil der ganze Platz von den „Brandstätten” eingenommen war. Dieses Büchlein sowie noch andere haben in den Gruben gelegen. Es hat Blut an sich gezogen von zeitweise nicht ganz verbrannten Knochen oder Stücken Fleisch. Der Geruch macht sich gleich bemerkbar. Lieber Finder, suchen sollt ihr, überall, auf jedem Fleckchen. Da liegen zu Dutzenden Dokumente von mir und anderen begraben, die ein Licht werfen werden auf alles, was hier geschehen und passiert ist. Auch viele Zähne liegen begraben. Die haben wir Arbeiter vom Sonderkommando speziell auf dem Platz verschüttet, soviel nur möglich war. Die Welt soll lebendige Zeichen von den Millionen Getöteter finden. Wir selbst hoffen nicht, dass wir den Augenblick der Freiheit erleben können. Denn trotz der guten Nachrichten, die zu uns durchdringen, sehen wir, dass die Welt ihnen, den Barbaren, die Möglichkeit gibt, mit breitester Hand die kleinen Reste des jüdischen Volkes zu vernichten und mit der Wurzel auszurotten. Es macht den Eindruck, als seien die Welt, die alliierten Staaten, die Weltsieger, indirekt zufrieden über unser furchtbares Volksschicksal. Gerade jetzt kommen vor unseren Augen Zehntausende Juden aus Tschechien und der Slowakei um. Die Juden, die sicherlich schon die Freiheit hätten erreichen können. Wo nur den Barbaren die Gefahr nahe kommt, dass sie weggehen müssen, nehmen sie die Reste der noch Übriggebliebenen und bringen sie hierher nach Birkenau Auschwitz. Oder nach Stutthof bei Danzig. Wir wissen das von Menschen, die auch von dort zu uns kommen. Wir, das Sonderkommando, wollten schon lange unserer grausamen, schauerlichen, durch Tod erzwungenen Arbeit ein Ende machen. Wir wollten eine große Sache durchführen. Aber die Lagermenschen, sowohl ein Teil der Juden, Russen als auch Polen, haben uns mit allen Mitteln zurückgehalten und es uns aufgezwungen, dass wir den Termin unserer Revolte hinausschoben. Der Tag ist nahe, kann sein heute, kann sein morgen. Ich schreibe die Zeilen in Augenblicken größter Gefahr und Erregung. Möge die Zukunft nach meinen Schriften über uns urteilen und möge die Welt in ihnen einen Tropfen, ein Minimum von der schauerlichen, tragischen Totenwelt sehen, in der wir gelebt haben.
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Salmen Gradowski September 1944 Ich habe das geschrieben, als ich im Sonderkommando war. Ich kam aus dem Kielbasiner Lager. Bei Grodno. Ich wollte es, wie noch viele andere Schriften von mir, zur Erinnerung für die künftige Friedenswelt hinterlassen, die wissen soll, was hier geschehen ist. Ich habe es begraben in einer Aschengrube als sicherstem Platz, an dem man sicher graben wird, um Spuren von den Millionen Umgekommenen zu suchen. Aber letztens haben sie angefangen, die Spuren zu verwischen – und wo nur Asche angesammelt war, haben sie angeordnet, alles fein zu zerstoßen und es zur Weichsel zu bringen und der Strömung zu überlassen. Viele Gruben haben wir ausgegraben. Und jetzt befinden sich zwei solche Gruben auf dem Gelände des Krematoriums 1-2. Einige Gruben sind noch voller Asche. Da haben sie etwas vergessen oder es selbst vor ihren Vorgesetzten verleugnet, denn der Befehl lautete, so schnell wie möglich alle Spuren zu verwischen. Und als sie es nicht beizeiten ausgeführt hatten, haben sie es verleugnet. Vielleicht aus diesem Grunde sind noch zwei große Aschengruben am Krematorium 1-2 da. Und viel Asche von Hunderttausenden Juden, Russen und Polen ist auf dem Gelände der Krematorien verschüttet und untergearbeitet worden. In den Krematorien 3-4 gibt es ebenfalls ein wenig Asche. Dort hat man die Asche immer gleich zerstoßen und zur Weichsel gebracht, weil der ganze Platz von den „Brandstätten” eingenommen war. Dieses Büchlein sowie noch andere haben in den Gruben gelegen. Es hat Blut an sich gezogen von zeitweise nicht ganz verbrannten Knochen oder Stücken Fleisch. Der Geruch macht sich gleich bemerkbar. Lieber Finder, suchen sollt ihr, überall, auf jedem Fleckchen. Da liegen zu Dutzenden Dokumente von mir und anderen begraben, die ein Licht werfen werden auf alles, was hier geschehen und passiert ist. Auch viele Zähne liegen begraben. Die haben wir Arbeiter vom Sonderkommando speziell auf dem Platz verschüttet, soviel nur möglich war. Die Welt soll lebendige Zeichen von den Millionen Getöteter finden. Wir selbst hoffen nicht, dass wir den Augenblick der Freiheit erleben können. Denn trotz der guten Nachrichten, die zu uns durchdringen, sehen wir, dass die Welt ihnen, den Barbaren, die Möglichkeit gibt, mit breitester Hand die kleinen Reste des jüdischen Volkes zu vernichten und mit der Wurzel auszurotten. Es macht den Eindruck, als seien die Welt, die alliierten Staaten, die Weltsieger, indirekt zufrieden über unser furchtbares Volksschicksal. Gerade jetzt kommen vor unseren Augen Zehntausende Juden aus Tschechien und der Slowakei um. Die Juden, die sicherlich schon die Freiheit hätten erreichen können. Wo nur den Barbaren die Gefahr nahe kommt, dass sie weggehen müssen, nehmen sie die Reste der noch Übriggebliebenen und bringen sie hierher nach Birkenau Auschwitz. Oder nach Stutthof bei Danzig. Wir wissen das von Menschen, die auch von dort zu uns kommen. Wir, das Sonderkommando, wollten schon lange unserer grausamen, schauerlichen, durch Tod erzwungenen Arbeit ein Ende machen. Wir wollten eine große Sache durchführen. Aber die Lagermenschen, sowohl ein Teil der Juden, Russen als auch Polen, haben uns mit allen Mitteln zurückgehalten und es uns aufgezwungen, dass wir den Termin unserer Revolte hinausschoben. Der Tag ist nahe, kann sein heute, kann sein morgen. Ich schreibe die Zeilen in Augenblicken größter Gefahr und Erregung. Möge die Zukunft nach meinen Schriften über uns urteilen und möge die Welt in ihnen einen Tropfen, ein Minimum von der schauerlichen, tragischen Totenwelt sehen, in der wir gelebt haben.
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