An die Nachwelt

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Nachwort
07. Juli 1944
[unbekannt]
Wir fahren am Montag und heute ist Freitagabend. Dein Vater, Pola, ich und weitere Leidensgenossen werden an ein unbekanntes Ziel fahren. Ich weiß nicht, mein liebes Kind, ob ich Dich noch einmal sehen werde. Ich nehme mit mir Dein geliebtes Bild, wie Du zu Hause warst, Dein kindliches, süßes Geplappere, den Geruch Deines reinen Körpers, den Rhythmus Deines Atems, Dein Lächeln und Dein Weinen. Ich nehme mit mir die schreckliche, unendliche Angst, die das Herz Deiner Mutter auch nicht für einen Moment beruhigen konnte. Ich nehme mit auf meinen Weg das Bild von Dir am 13. Dezember 1943, mit Deinem vorzeitig reifen Blick, den Geschmack Deiner honigsüßen Küsse und die Umarmung Deiner kleinen Arme, mein Küken. Dies ist das Gepäck, das ich mit auf den Weg nehme, vielleicht erlaubt uns die Vorsehung, diesen Alptraum heil zu überstehen und bringt Dich, mein Schatz, in unsere Arme zurück. Wenn dies geschieht, so werde ich Dir viele Dinge erklären, die Du noch nicht verstehst und von denen anzunehmen ist, dass Du sie niemals verstehen wirst, wenn Du in einer anderen Umgebung und in einer Atmosphäre der Freiheit erzogen wirst. Mein kleines Mädchen, ich möchte, dass Du diesen Brief liest, wenn, so Gott will, Du groß und reif genug und in der Lage sein wirst, unsere Taten Dir gegenüber kritisch zu betrachten. Ich wünsche mir mit meinem ganzen Sein, mein geliebtes Kind, dass Du uns nicht verurteilst, dass Du das Andenken an uns liebst und das Andenken an dieses ganze so verhasste Volk, in dem Du verwurzelt bist. Mein Küken, ich möchte, dass Du Dich Deiner Abstammung nicht schämst und sie nicht verleugnest, ich möchte, dass Du weißt, dass Dein Vater ein beispielloser Mensch war, wie es nur wenige auf der ganzen Welt gibt, und dass Du nur Stolz für ihn empfunden hättest. Sein ganzes Leben hat er damit verbracht, anderen Menschen Gutes zu tun, gute Taten zu vollbringen, möge Gott seinen Weg segnen, wo immer er hingeht, und ihn behüten, und möge es ihm vergönnt sein, Dich wieder in sein Herz zu schließen. Du, mein Schatz, bist die ganze Welt Deines Vaters, all sein Streben, die einzige Entschädigung für all das Leid und die Qualen, daher möchte ich, dass Du ihn in guter Erinnerung behältst, falls uns das Schicksal nicht wohlgesinnt sein sollte. [...] Und was mich, Deine Mutter, betrifft, so verzeih mir, mein liebes Kind, dafür, dass ich Dich geboren habe. Ich halte Dich an mein Herz, küsse Dich heiß, und segne Dich mit aller Macht des Herzens und der Liebe einer Mutter.
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[unbekannt] 07. Juli 1944 Wir fahren am Montag und heute ist Freitagabend. Dein Vater, Pola, ich und weitere Leidensgenossen werden an ein unbekanntes Ziel fahren. Ich weiß nicht, mein liebes Kind, ob ich Dich noch einmal sehen werde. Ich nehme mit mir Dein geliebtes Bild, wie Du zu Hause warst, Dein kindliches, süßes Geplappere, den Geruch Deines reinen Körpers, den Rhythmus Deines Atems, Dein Lächeln und Dein Weinen. Ich nehme mit mir die schreckliche, unendliche Angst, die das Herz Deiner Mutter auch nicht für einen Moment beruhigen konnte. Ich nehme mit auf meinen Weg das Bild von Dir am 13. Dezember 1943, mit Deinem vorzeitig reifen Blick, den Geschmack Deiner honigsüßen Küsse und die Umarmung Deiner kleinen Arme, mein Küken. Dies ist das Gepäck, das ich mit auf den Weg nehme, vielleicht erlaubt uns die Vorsehung, diesen Alptraum heil zu überstehen und bringt Dich, mein Schatz, in unsere Arme zurück. Wenn dies geschieht, so werde ich Dir viele Dinge erklären, die Du noch nicht verstehst und von denen anzunehmen ist, dass Du sie niemals verstehen wirst, wenn Du in einer anderen Umgebung und in einer Atmosphäre der Freiheit erzogen wirst. Mein kleines Mädchen, ich möchte, dass Du diesen Brief liest, wenn, so Gott will, Du groß und reif genug und in der Lage sein wirst, unsere Taten Dir gegenüber kritisch zu betrachten. Ich wünsche mir mit meinem ganzen Sein, mein geliebtes Kind, dass Du uns nicht verurteilst, dass Du das Andenken an uns liebst und das Andenken an dieses ganze so verhasste Volk, in dem Du verwurzelt bist. Mein Küken, ich möchte, dass Du Dich Deiner Abstammung nicht schämst und sie nicht verleugnest, ich möchte, dass Du weißt, dass Dein Vater ein beispielloser Mensch war, wie es nur wenige auf der ganzen Welt gibt, und dass Du nur Stolz für ihn empfunden hättest. Sein ganzes Leben hat er damit verbracht, anderen Menschen Gutes zu tun, gute Taten zu vollbringen, möge Gott seinen Weg segnen, wo immer er hingeht, und ihn behüten, und möge es ihm vergönnt sein, Dich wieder in sein Herz zu schließen. Du, mein Schatz, bist die ganze Welt Deines Vaters, all sein Streben, die einzige Entschädigung für all das Leid und die Qualen, daher möchte ich, dass Du ihn in guter Erinnerung behältst, falls uns das Schicksal nicht wohlgesinnt sein sollte. [...] Und was mich, Deine Mutter, betrifft, so verzeih mir, mein liebes Kind, dafür, dass ich Dich geboren habe. Ich halte Dich an mein Herz, küsse Dich heiß, und segne Dich mit aller Macht des Herzens und der Liebe einer Mutter.
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