An die Nachwelt

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[undatiert]
[unbekannt]
Liebe Frau, das hier wird kein langer Brief, denn ich habe sehr viel zu tun. Aber ich glaube, was ich schreibe, ist schon genug. Gestern Abend war ich also beim Einzug der Frauen dabei. Ich konnte nicht sehen, wer alles dabei war, weil ich bei der großen Küche stand. Also ein ganzes Stück weg. Aber wie unglaublich mutig sind die Frauen doch. Wenn du selbst dabei gewesen bist, weißt du es. Wir standen da ungefähr zu zehnt, und einer schrie lauter als der andere. Nicht aus Mitleid, sondern vor allem aus ohnmächtiger Wut. Zweitens wegen der großartigen Haltung unserer jüdischen Frauen, die vorbeikamen – singend, tapfer, tanzend, uns zuwinkend. Was haben die Herren auf dem Balkon wohl empfunden? Wenn sie noch ein einziges Gramm Ehrgefühl in sich tragen, müssen sie sich tief geschämt haben. Aber heute ist das zum letzten Mal passiert. Es war nichts als Reklame. Tarnung für die hohen Tiere. Frau, sag all den Frauen um dich herum, dass ihnen meine tief empfundene Hochachtung gehört (und die anderen denken genauso darüber) und dass um ihre Köpfe ein Glorienschein entstanden ist, in den eingraviert steht: Jüdische Frau. Und das bedeutet: tapfer, resolut und stark. Um halb zwölf habe ich gestern Abend den Männern aus meiner Baracke davon erzählt, weil sie dem Arbeiten in Den Bosch mit so großem Unwillen entgegensehen. Damit haben sie auch nicht Unrecht, denn sie werden dort arg geschlagen und müssen schuften wie die Pferde. Aber ich habe ihnen vom Einzug unserer Frauen erzählt. Ich habe ihnen gesagt, sie sollten sich daran ein Beispiel nehmen und ihre Frauen würdigen, die den deutschen Herren eine solche Lektion erteilt haben. Frau, wenn du dabei gewesen bist, dann bin ich froh. Es klingt vielleicht seltsam, aber ich meine, was ich sage. Die Frauen haben ihnen einen Schlag ins Gesicht verpasst, der genau gesessen hat. Ich werde das mein Leben lang nicht vergessen, und ich bin euch Frauen dankbar. Frau, Mut, Mut und nochmals Mut. Gib der Verzweiflung nicht nach, denn wir müssen stark sein. Dein Mann sendet dir alles, alles Liebe; halt dich nur an ihm fest.
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Reiner Text
[unbekannt] [undatiert] Liebe Frau, das hier wird kein langer Brief, denn ich habe sehr viel zu tun. Aber ich glaube, was ich schreibe, ist schon genug. Gestern Abend war ich also beim Einzug der Frauen dabei. Ich konnte nicht sehen, wer alles dabei war, weil ich bei der großen Küche stand. Also ein ganzes Stück weg. Aber wie unglaublich mutig sind die Frauen doch. Wenn du selbst dabei gewesen bist, weißt du es. Wir standen da ungefähr zu zehnt, und einer schrie lauter als der andere. Nicht aus Mitleid, sondern vor allem aus ohnmächtiger Wut. Zweitens wegen der großartigen Haltung unserer jüdischen Frauen, die vorbeikamen – singend, tapfer, tanzend, uns zuwinkend. Was haben die Herren auf dem Balkon wohl empfunden? Wenn sie noch ein einziges Gramm Ehrgefühl in sich tragen, müssen sie sich tief geschämt haben. Aber heute ist das zum letzten Mal passiert. Es war nichts als Reklame. Tarnung für die hohen Tiere. Frau, sag all den Frauen um dich herum, dass ihnen meine tief empfundene Hochachtung gehört (und die anderen denken genauso darüber) und dass um ihre Köpfe ein Glorienschein entstanden ist, in den eingraviert steht: Jüdische Frau. Und das bedeutet: tapfer, resolut und stark. Um halb zwölf habe ich gestern Abend den Männern aus meiner Baracke davon erzählt, weil sie dem Arbeiten in Den Bosch mit so großem Unwillen entgegensehen. Damit haben sie auch nicht Unrecht, denn sie werden dort arg geschlagen und müssen schuften wie die Pferde. Aber ich habe ihnen vom Einzug unserer Frauen erzählt. Ich habe ihnen gesagt, sie sollten sich daran ein Beispiel nehmen und ihre Frauen würdigen, die den deutschen Herren eine solche Lektion erteilt haben. Frau, wenn du dabei gewesen bist, dann bin ich froh. Es klingt vielleicht seltsam, aber ich meine, was ich sage. Die Frauen haben ihnen einen Schlag ins Gesicht verpasst, der genau gesessen hat. Ich werde das mein Leben lang nicht vergessen, und ich bin euch Frauen dankbar. Frau, Mut, Mut und nochmals Mut. Gib der Verzweiflung nicht nach, denn wir müssen stark sein. Dein Mann sendet dir alles, alles Liebe; halt dich nur an ihm fest.
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