An die Nachwelt

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27. Juli 1944
Wilhelm Beuttel
Meine liebe, tapfere Frau! Dieser Brief ist das letzte Lebenszeichen und Liebeszeichen von mir. Heute, am 27. Juli, 15 Uhr, wird mein Kopf, der so viele liebe Gedanken für Dich barg, in den Sand rollen. Mein Urlaub auf dieser Erde ist damit abgelaufen, und ich werde wie so viele andere „eingeschreint sein im Herzen der Menschheit“, die heute ja so viel Leid erdulden muss. Wenn ich daran denke, wie wir so oft gemeinsam der Matthäus-Passion gelauscht haben und wie unsere Blicke sich zuletzt begegneten, während auf der Tribüne des Konzertgebäudes der Schlusschor von Beethovens 9. Symphonie losbrauste, dann wird mir doch ein wenig weh ums Herz. „Alle Menschen werden Brüder.“ Ja, dafür habe ich gelebt und gekämpft von frühester Jugend an. Und wenn auch mein Leben auf diese Art enden muss, so bin ich dem Schicksal doch dankbar, dass es mich dieses Leben – und besonders die letzten 10 Jahre an Deiner Seite – leben ließ. Ich habe in meiner Passionszeit Zeit genug gehabt, mein Tun und Handeln zu überprüfen, und weiß, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe. Allein das, dass es mir nicht gelungen ist, mich für Dich zu erhalten. Aber ich schrieb Dir schon im letzten Brief, dass gegen Verrat noch kein Kraut gewachsen ist. Schlimm, sehr schlimm ist das alles für Dich und meine lieben Angehörigen. Tragisch ist es, denn ich komme mir vor wie ein Rennpferd, das kurz vor dem Ziele stürzt. Ich hätte gern noch erlebt, dass die Menschheit und vor allem mein geliebtes deutsches Volk von den furchtbaren Leiden des Krieges erlöst werden würde. Nun, ich erlebe den ersehnten Frieden nicht mehr, sterbe aber in der Gewissheit, dass er bald, zum Segen aller, kommen wird. Meine liebe Frau, liebe Maria! Du musst jetzt Deinen Weg allein weitergehen, und wenn Du auch im ersten Augenblick denken wirst, es geht nicht, es wird gehen, und es muss gehen. Immer ja sagen zum Leben, ganz gleich, wie hart die Schläge sind, die es erteilt. Das war immer meine Parole, und sie soll mein Vermächtnis an Dich sein. Schön war unsere Ehe, und wir haben uns mehr gegeben, wie Menschen sich gewöhnlich zu geben vermögen. Davon wirst Du zehren müssen. Ich wünsche Dir dazu alles Gute. Über den Ausgang meiner Sache habe ich keinen Augenblick gezweifelt, wenn ich auch manchmal glaubte, dass die Zeit vielleicht noch Rettung bringt. Mein Herzenskind, so muss ich von Dir scheiden, reinen Herzens und reinen Sinnes. Da wir nicht getraut sind, entscheide ich hiermit, dass alle meine persönlichen Habseligkeiten später von meinen Angehörigen an Dich übergeben werden. Sobald Du kannst, gehe zu meiner Mutter und berichte ihr und meinen Bekannten von meinem Leben in den letzten zehn Jahren und sorge dafür, dass das Andenken an mich rein und sauber bleibt. Grüße Deine Angehörigen von mir und alle Bekannten. Leb wohl, mein Kind! Ich drücke Dich fest an mein Herz, das in zwei Stunden schon nicht mehr schlagen wird. Meine letzten Gedanken sind bei Dir, mein Stern, mein Liebstes, das ich besessen habe. Lebe wohl! Dein Mann Ich sterbe für Deutschland.
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Reiner Text
Wilhelm Beuttel 27. Juli 1944 Meine liebe, tapfere Frau! Dieser Brief ist das letzte Lebenszeichen und Liebeszeichen von mir. Heute, am 27. Juli, 15 Uhr, wird mein Kopf, der so viele liebe Gedanken für Dich barg, in den Sand rollen. Mein Urlaub auf dieser Erde ist damit abgelaufen, und ich werde wie so viele andere „eingeschreint sein im Herzen der Menschheit“, die heute ja so viel Leid erdulden muss. Wenn ich daran denke, wie wir so oft gemeinsam der Matthäus-Passion gelauscht haben und wie unsere Blicke sich zuletzt begegneten, während auf der Tribüne des Konzertgebäudes der Schlusschor von Beethovens 9. Symphonie losbrauste, dann wird mir doch ein wenig weh ums Herz. „Alle Menschen werden Brüder.“ Ja, dafür habe ich gelebt und gekämpft von frühester Jugend an. Und wenn auch mein Leben auf diese Art enden muss, so bin ich dem Schicksal doch dankbar, dass es mich dieses Leben – und besonders die letzten 10 Jahre an Deiner Seite – leben ließ. Ich habe in meiner Passionszeit Zeit genug gehabt, mein Tun und Handeln zu überprüfen, und weiß, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe. Allein das, dass es mir nicht gelungen ist, mich für Dich zu erhalten. Aber ich schrieb Dir schon im letzten Brief, dass gegen Verrat noch kein Kraut gewachsen ist. Schlimm, sehr schlimm ist das alles für Dich und meine lieben Angehörigen. Tragisch ist es, denn ich komme mir vor wie ein Rennpferd, das kurz vor dem Ziele stürzt. Ich hätte gern noch erlebt, dass die Menschheit und vor allem mein geliebtes deutsches Volk von den furchtbaren Leiden des Krieges erlöst werden würde. Nun, ich erlebe den ersehnten Frieden nicht mehr, sterbe aber in der Gewissheit, dass er bald, zum Segen aller, kommen wird. Meine liebe Frau, liebe Maria! Du musst jetzt Deinen Weg allein weitergehen, und wenn Du auch im ersten Augenblick denken wirst, es geht nicht, es wird gehen, und es muss gehen. Immer ja sagen zum Leben, ganz gleich, wie hart die Schläge sind, die es erteilt. Das war immer meine Parole, und sie soll mein Vermächtnis an Dich sein. Schön war unsere Ehe, und wir haben uns mehr gegeben, wie Menschen sich gewöhnlich zu geben vermögen. Davon wirst Du zehren müssen. Ich wünsche Dir dazu alles Gute. Über den Ausgang meiner Sache habe ich keinen Augenblick gezweifelt, wenn ich auch manchmal glaubte, dass die Zeit vielleicht noch Rettung bringt. Mein Herzenskind, so muss ich von Dir scheiden, reinen Herzens und reinen Sinnes. Da wir nicht getraut sind, entscheide ich hiermit, dass alle meine persönlichen Habseligkeiten später von meinen Angehörigen an Dich übergeben werden. Sobald Du kannst, gehe zu meiner Mutter und berichte ihr und meinen Bekannten von meinem Leben in den letzten zehn Jahren und sorge dafür, dass das Andenken an mich rein und sauber bleibt. Grüße Deine Angehörigen von mir und alle Bekannten. Leb wohl, mein Kind! Ich drücke Dich fest an mein Herz, das in zwei Stunden schon nicht mehr schlagen wird. Meine letzten Gedanken sind bei Dir, mein Stern, mein Liebstes, das ich besessen habe. Lebe wohl! Dein Mann Ich sterbe für Deutschland.
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