An die Nachwelt

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24. Juli 1941
Willy Gall
Meine liebe Mutter und Trudel! Wenn Du diesen Brief in den Händen halten wirst, weile ich nicht mehr unter den Lebenden. Seid darum nicht gar zu traurig, alle Menschen müssen sterben, und viele edle sterben jetzt. Und ich habe einen kurzen und schmerzlosen Tod – möge Dir das ein wenig Trost geben in Deinem Schmerz. Liebe Mutter und Trudel! Seid auch versichert, dass ich keine Angst habe, sondern ruhig der letzten Stunde entgegen sehe. Sieh, liebe Mutter, es hat immer Menschen gegeben, die für Ideale ihr Leben eingesetzt haben. Menschen, die dabei den Gefahren ins Auge blickten, ohne zu zittern, die Entbehrungen ertrugen, ohne zu klagen; die auf manches verzichteten, ohne zu jammern. Sie setzten ihr Leben ein ohne Zagen und würden es immer wieder tun, auch wenn sie die Gewissheit hätten, ihr Dasein abzukürzen. Ich kann mich gewiss nicht mit solchen großen Menschen vergleichen, ich bin nur ein einfacher, kleiner Mensch, aber ich habe mich oft über solche großen selbstlosen Menschen, die ihre Tatkraft in den Dienst des Volkes stellten, aufs herzlichste gefreut und an ihnen begeistert. Aber nichtsdestoweniger war ich bestrebt, meine geringe Kraft für etwas Gutes herzugeben. Und das muss man unter Beweis stellen, dafür muss man die Prüfung bestehen. Das hat mich beseelt, dafür hat mein Herz immer heiß geschlagen und auch noch jetzt. Deshalb, liebe Mutter und Trudel, seid mir bitte nicht böse. Denkt daran, dass mich das froh und glücklich gemacht hat. Und somit kann ich auch keine Bitterkeit über mein Ende empfinden. Ich sehe und glaube an eine frohe Zukunft, die auch Euch manches Leid vergessen lassen wird. In all den Jahren, die ich fern von Euch gelebt habe, habe ich immer an Euch gedacht; habe mich oft mit den Menschen, unter denen ich lebte, von Dir, liebe Mutter, unterhalten. Stets fühlte ich mich Dir nahe, und Du warst immer bei mir. Dein Bild sehe ich lebendig vor mir. Und wenn Du, liebe Mutter, einmal Gelegenheit haben wirst, mit den Menschen zusammen zu kommen, unter denen ich gelebt habe, dann wirst Du gewiss von ihnen hören, dass sie mich gern gehabt haben. Das wird Dich auch freuen, kannst Du doch daraus ersehen, dass ich keinen schlechten Charakter habe, sonst hätten sie mich gewiss nicht gern gesehen. Daraus kannst Du ersehen, liebe Mutter, dass mein Leben nicht leer gewesen ist, sondern im Gegenteil sehr inhaltsreich. Darum seid bitte nicht so sehr traurig, ich bin bei Euch, weil ich mich mit Euch allen zutiefst verbunden fühle. Auch ich bin jetzt nicht traurig, denn Du, liebe Mutter, und alle meine Freunde sind bei mir. Auch meinen lieben Vater habe ich nicht vergessen, er hat in den letzten Stunden so gelitten. Liebe Mutter! Wenn Du die Möglichkeit hast, dann grüße bitte Elsbeth nochmals recht herzlich von mir. Ich habe sie ja so innig geliebt und danke ihr heiß für die herrlichsten Stunden, die ich mit ihr verleben durfte. Den Ring, welchen ich bis zuletzt getragen, gib ihr bitte zurück. Liebe Mutter! Du wirst es mir auch verzeihen, dass ich Dir von meiner Verurteilung nichts geschrieben habe, ich wollte Dir unnötiges Leid ersparen. Ich habe es gut gemeint. Verzeihe mir auch, dass ich kein Gnadengesuch eingereicht habe. Und nun, liebe Mutter und liebe Trudel, lebt wohl – und werdet bald wieder froh und glücklich! Herzliche Grüße an alle, Onkels und Tanten! Ich sterbe, wie ich gelebt habe, mit ganzer Hingabe und mit heilem Herzen! Die Sonne steht immer über den Wolken! Seid recht herzlich gegrüßt von Eurem Willy
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Willy Gall 24. Juli 1941 Meine liebe Mutter und Trudel! Wenn Du diesen Brief in den Händen halten wirst, weile ich nicht mehr unter den Lebenden. Seid darum nicht gar zu traurig, alle Menschen müssen sterben, und viele edle sterben jetzt. Und ich habe einen kurzen und schmerzlosen Tod – möge Dir das ein wenig Trost geben in Deinem Schmerz. Liebe Mutter und Trudel! Seid auch versichert, dass ich keine Angst habe, sondern ruhig der letzten Stunde entgegen sehe. Sieh, liebe Mutter, es hat immer Menschen gegeben, die für Ideale ihr Leben eingesetzt haben. Menschen, die dabei den Gefahren ins Auge blickten, ohne zu zittern, die Entbehrungen ertrugen, ohne zu klagen; die auf manches verzichteten, ohne zu jammern. Sie setzten ihr Leben ein ohne Zagen und würden es immer wieder tun, auch wenn sie die Gewissheit hätten, ihr Dasein abzukürzen. Ich kann mich gewiss nicht mit solchen großen Menschen vergleichen, ich bin nur ein einfacher, kleiner Mensch, aber ich habe mich oft über solche großen selbstlosen Menschen, die ihre Tatkraft in den Dienst des Volkes stellten, aufs herzlichste gefreut und an ihnen begeistert. Aber nichtsdestoweniger war ich bestrebt, meine geringe Kraft für etwas Gutes herzugeben. Und das muss man unter Beweis stellen, dafür muss man die Prüfung bestehen. Das hat mich beseelt, dafür hat mein Herz immer heiß geschlagen und auch noch jetzt. Deshalb, liebe Mutter und Trudel, seid mir bitte nicht böse. Denkt daran, dass mich das froh und glücklich gemacht hat. Und somit kann ich auch keine Bitterkeit über mein Ende empfinden. Ich sehe und glaube an eine frohe Zukunft, die auch Euch manches Leid vergessen lassen wird. In all den Jahren, die ich fern von Euch gelebt habe, habe ich immer an Euch gedacht; habe mich oft mit den Menschen, unter denen ich lebte, von Dir, liebe Mutter, unterhalten. Stets fühlte ich mich Dir nahe, und Du warst immer bei mir. Dein Bild sehe ich lebendig vor mir. Und wenn Du, liebe Mutter, einmal Gelegenheit haben wirst, mit den Menschen zusammen zu kommen, unter denen ich gelebt habe, dann wirst Du gewiss von ihnen hören, dass sie mich gern gehabt haben. Das wird Dich auch freuen, kannst Du doch daraus ersehen, dass ich keinen schlechten Charakter habe, sonst hätten sie mich gewiss nicht gern gesehen. Daraus kannst Du ersehen, liebe Mutter, dass mein Leben nicht leer gewesen ist, sondern im Gegenteil sehr inhaltsreich. Darum seid bitte nicht so sehr traurig, ich bin bei Euch, weil ich mich mit Euch allen zutiefst verbunden fühle. Auch ich bin jetzt nicht traurig, denn Du, liebe Mutter, und alle meine Freunde sind bei mir. Auch meinen lieben Vater habe ich nicht vergessen, er hat in den letzten Stunden so gelitten. Liebe Mutter! Wenn Du die Möglichkeit hast, dann grüße bitte Elsbeth nochmals recht herzlich von mir. Ich habe sie ja so innig geliebt und danke ihr heiß für die herrlichsten Stunden, die ich mit ihr verleben durfte. Den Ring, welchen ich bis zuletzt getragen, gib ihr bitte zurück. Liebe Mutter! Du wirst es mir auch verzeihen, dass ich Dir von meiner Verurteilung nichts geschrieben habe, ich wollte Dir unnötiges Leid ersparen. Ich habe es gut gemeint. Verzeihe mir auch, dass ich kein Gnadengesuch eingereicht habe. Und nun, liebe Mutter und liebe Trudel, lebt wohl – und werdet bald wieder froh und glücklich! Herzliche Grüße an alle, Onkels und Tanten! Ich sterbe, wie ich gelebt habe, mit ganzer Hingabe und mit heilem Herzen! Die Sonne steht immer über den Wolken! Seid recht herzlich gegrüßt von Eurem Willy
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